Posts, die
»Adoleszensroman« im Titel tragen, beziehen sich auf den Inhalt meines Seminars
an der Uni und sind weniger Rezensionen als eher Besprechungen des jeweiligen
Romans.
Christine Nöstlingers »Bonsai« erzählt die Geschichte des
Jungen Sebastian. Er ist Fünfzehn, aber dennoch kleiner als das kleinste
Mädchen der Klasse. Außerdem weiß er zwar eine ganze Menge, nur eines noch
nicht: Wie es um ihn und seine Sexualität bestellt ist. Er beschließt sich zu
verlieben, und seine Kusine Eva-Maria soll ihm dabei behilflich sein.
Der Roman ist mit einem frischen Witz erzählt, der dadurch
gleichzeitig das Wiener Großbürgertum ein wenig auf’s Korn nimmt. Sebastian ist
ein altkluger Junge, der oft gewichtig daherredet, aber nicht immer so ganz
versteht, was er da eigentlich erzählt. Das führt mitunter zu recht komischen
Situationen, in denen er beispielsweise die Philosophie mit der Gärtnerei
verwechselt und beides für ein und dasselbe hält. Auch lebt der Humor des
Buches von Situationskomik, beispielsweise als Sebastian den Männerstrich auf
einem Straßenklo sucht und Eva-Maria ihm hinterher ganz trocken erzählt, was
sie in einiger Entfernung unter den Bäumen beobachtet hat. Das zeugt von seiner
Naivität, die er jedoch durch seine Großmäuligkeit zu überspielen versucht. Mitunter
reichen Humor und Komik bis hin zur Drastik.
Sebastian ist in seinem Alltag fast nur von Frauen umgeben:
seine Mutter, die Tante und deren Tochter Eva-Maria. Dadurch fehlt ihm eine männliche
Identifikationsfigur, auch wenn er sagt, dass er seinen Vater nicht vermisst
und »die Alleinerzieherin«, wie er seine Mutter immer nennt, dessen Rolle gut
erfüllt. Sie selbst nimmt ihn jedoch mehr oder weniger als Partnerersatz und
erzählt ihm vieles aus ihrem Leben, dass eine Mutter klassischerweise nicht
erzählen würde. Damit werden die klassischen Rollenbilder einer Familie
aufgebrochen und durch plurale Familienverhältnisse ersetzt; die
Patchworkfamilie wird salonfähig.
Das Verhältnis von Mutter und Sohn ist durch tägliche
Streits geprägt, Sebastian scheint das sogar zu brauchen, da es für ihn eine
Art Wettbewerb ist. Trotzdem herrscht eine gesunde Kommunikation zwischen
beiden, die Mutter setzt sich für ihn ein und verteidigt ihn. Sie ist sich gegenüber
sehr kritisch und streng und befürchtet, eine schlechte Mutter zu sein.
Durchaus als fortschrittlich ist zu bezeichnen, dass sie sogar den Rat eines
befreundeten Psychologen sucht.
Sebastian reagiert vor allem auf Dinge und ist nicht
unbedingt der kluge Kopf, für den er sich selbst hält. Selbst die Suche nach
seiner Sexualität wird überhaupt erst angestoßen, als seine Mutter sich Sorgen
macht, er könne schwul sein, weil er spaßeshalber ein Kleid seiner Kusine
angezogen hatte. In der Suche selbst agiert er jedoch ausnahmsweise selbst.
Dadurch, dass Sebastian sich so klug gibt und in gehobenerer
Sprache spricht, ist er von den anderen aus dem Klassenverband mehr oder
weniger ausgeschlossen. Seine sozialen Kontakte sind daher stark beschränkt,
vor allem auf Eva-Maria und die Pribils.
Am Ende des Buches, sprichwörtlich in den letzten Wörtern,
wird deutlich, dass Sebastian eventuell über seine Geschichte geflunkert haben
könnte, es wird jedoch nicht klar, inwiefern. Er nimmt Bezug auf die
verschiedenfarbigen Tagebücher seiner Kusine, in denen sie unterschiedliche
Versionen der von Sebastian wiedergegebenen Ereignisse niedergeschrieben hat. Er
gibt an, dass er noch weitere verschiedenfarbige Bücher hätte schreiben können
mit zahlreichen anderslautenden Wahrheiten über ihn.
Der Schluss des Romans ist in jedem Fall sehr gelungen und
lässt den Leser auch nach Beenden der Lektüre darüber nachsinnen, was Sebastian
nun erfunden, etwas großzügig ausgelegt oder seiner Wahrnehmung entsprechend
wiedergegeben haben könnte. Auch die Komik der Erzählung hat einen gewissen
Reiz. Insgesamt gelingt es der Autorin gut, sich in die Gefühlswelt eines
Heranwachsenden hineinzuversetzen und seine Probleme und Sorgen dem Leser nahe
zu bringen.
Autor: Christine Nöstlinger
Titel: Bonsai
Original: Bonsai
Sprache: Deutsch
Reihe: Nein
Seiten: 248
Originalpreis: 14.90 DM
Verlag: Beltz & Gelbert
Genre: Jugendroman
ISBN: 3-407-78821-5
Erscheinungsjahr: 2000
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