Denn ich fresse nicht nur Jungfrauen!

Donnerstag, 21. September 2023

Rezension: Tress of the Emerald Sea (Secret Project #1) von Brandon Sanderson

Zeit + Brandon = Bücher ist wohl eine Gleichung, die den meisten seiner Fans mittlerweile geläufig sein dürfte. Wie wir nun wissen, lassen wir Brando Sando besser nicht allein, oder er kommt eines Tages mit etwas, dass er uns „mit Bedauern“ mitteilen muss, um dann nicht nur ein oder zwei oder gar drei, sondern gleich vier Manuskripte auf den Tisch zu packen. Zugegeben, ich habe selten so gelacht wie bei seiner Ankündigung für seine Crowdfunding Kampagne für seine vier Secret Projects. Was ein Brando Sando eben so tut, wenn er während der ganzen Lockdowns plötzlich sehr viel Zeit hat: schreiben. Das erste der Projekte, die währenddessen entstanden sind, ist „Tress Of The Emerald Sea“.

Tress lebt in der Emerald Sea auf dem Planeten Lumar, auf dem die Meere aus gefährlichen Sporen bestehen. Kommen sie mit einem Katalysator, in diesem Fall Wasser, in Verbindung, beginnen sie explosionsartig zu wachsen. Einige Sporenarten wachsen dabei zu Ranken an, andere bilden tödliche Pfähle und wiederum andere bilden sogar so etwas wie eine Proto-Intelligenz aus und können Lebewesen nachbilden. Als Tress‘ Liebhaber Charlie verschwindet, beschließt sie, ihn aus den Fängen der Zauberin zu retten, die ihn festhält. Dabei ist Tress selbst doch eigentlich nur ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen, das die Fenster im Herrenhaus des Duke wäscht. Tress, die noch nie ihre Heimat verlassen hat, begibt sich auf eine gefährliche Reise auf Meeren, die noch nie jemand zuvor gesegelt ist, und findet dabei viele unerwartete und neue Freunde, mit dabei die sprechende Ratte Huck.

„Tress of the Emermald Sea“ ist, in Brandons eigenen Worten, ein Märchen für Erwachsene. Und in der Tat hat es viele märchenhaft anmutende Elemente, einen gewissen „Es war einmal“-Flair, Prinzen, die gerettet werden müssen und oberflächlich betrachtet unscheinbare Heldinnen, in denen so viel mehr steckt. (Tatsächlich ist es kein Märchen, vielleicht mit Augen zudrücken gerade einmal ein Kunstmärchen, aber ich werde jetzt nicht das Thema meiner Bachelorarbeit entstauben und das hier noch einmal seitenlang analysieren ^^)

Jedenfalls ist Tress eine ausgesprochen liebenswürdige Protagonistin. Sie ist bodenständig und mit gesundem Menschenverstand gesegnet, wie auch unser Erzähler gern einmal betont. Ganz anders zu Helden anderer Geschichten setzt sich Tress nämlich auch einmal einen Moment lang hin und durchdenkt ihren Plan und ihre Optionen, bevor sie sich ins Abenteuer stürzt. Wenn eins bedenkt, wie viele nervige „Plottwists“ in anderen Romanen dadurch hätten vermieden werden können, durchaus eine lobenswerte Eigenschaft. Und auch sonst erscheint Tress auf den ersten Blick nicht wie die typische Protagonistin eines Romans. Sie kommt aus recht einfachen Verhältnissen, ist mit ihrer Gesamtsituation zufrieden, sammelt gern Tassen, hat ein liebendes Heim mit zwei unterstützenden Eltern und ist mit ihrem Beruf eigentlich ganz zufrieden. Und dann ist da natürlich noch Charlie, der „Gärtner“ (wobei alle wissen, dass er eigentlich der Sohn des Dukes ist), mit dem Tress so gern Geschichten austauscht. Tress wirkt eigentlich nicht wie jemand, den es in die Welt hinaustreibt. Und doch begibt sie sich auf eine Heldenreise.

Auf dieser Reise entdeckt sie nicht nur die Welt, sondern auch sich. Auf ihrer Welt sind die Menschen extrem vorsichtig bis hin zur Angst im Umgang mit Sporen, da selbst der kleinste Wassertropfen mitunter tödliche Folgen haben kann (eins stelle sich nur vor, aus Versehen ein paar Sporen zu schlucken und die wachsen in einem zu Ranken, nicht gerade appetitlich). Trotzdem wird Tress auf ihrer Reise zu einem Sprouter, das sind Menschen, die Sporen gezielt wachsen lassen und sie sogar in gewisser Weise manipulieren können.

Tress fällt leicht in Hyperfixationen. Zunächst sind es Tassen, die sie von überall aus der Welt sammelt. Gemeinsam mit Charlie denkt sie sich Geschichten zu diesen Tassen aus, und während ihrer Reise nimmt sie einen Sack voll ihrer Tassen mit, um sie regelmäßig herauszuholen und zu betrachten. Sie entdeckt, dass sie das Zeug zum Sprouter hat, als sie sich genötigt sieht, sich an Bord der Crow’s Song nützlich zu machen und den freigewordenen Posten des vorherigen Sprouter einnimmt. Wie alle anderen Menschen auch hat sie enorme Angst vor Sporen, dennoch wagt sie es alsbald, mit ihnen herumzuexperimentieren, so sehr, dass sie leicht darüber die Zeit vergisst. Es ist meines Wissens nach nicht offiziell bestätigt (zumindest sagt die Coppermind Wiki zum Zeitpunkt des Schreibens nichts davon), aber auf mich wirkt das durchaus wie leichte ADHS-Züge.

Auf gar keinen Fall darf der Erzähler hier unerwähnt bleiben. Ich möchte nicht verraten, wer es ist, der uns die Geschichte erzählt, da ich gespoilert wurde und mir das einiges an Freude bei der Entdeckung genommen hat, aber ich sag so viel: Es ist ein alter Bekannter, der auch relativ schnell enthüllt wird, es ist also kein großes Geheimnis. Die Geschichte wird von einem Ich-Erzähler erzählt, der wiederum uns Tress‘ Geschichte erzählt. Wobei „uns“ hier ebenfalls ein Punkt ist, der offen bleibt. Wer ist das „you“, das der Erzähler in der Geschichte immer wieder adressiert? Ich persönlich habe das Gefühl, dass es nicht zwingend Brandons Leser sein müssen, sondern vielleicht ebenfalls Charaktere im Cosmere sein könnten, die damit angesprochen werden.

Hoid ist übrigens mal wieder mit von der Partie und es ist wie jedes Mal eine großartige Freude! Dieses Mal hat er sich selbst ein wenig in die Zwickmühle gebracht. Wobei er behauptet, er hätte es bewusst darauf ankommen lassen. Denn er ist von der Zauberin verwünscht worden und kann seitdem nur noch wirres Zeug von sich geben. Auch sein Modegeschmack hat darunter recht gelitten, was in mitunter sehr amüsierenden Kreationen mündet. Trotzdem erkennt Tress, dass Hoid eine essenzielle Rolle bei der Befreiung Charlies spielt, und ist bestrebt, seinen Fluch zu lösen.

Nachdem sich Brandon all die Jahre so bedeckt hielt, was seinen Cosmere angeht, ist das hier eindeutig ein Buch, das tief in den Cosmere eingeflochten ist. Ich kann mir vorstellen, warum Brandon damit den Schritt gegangen ist, das erst selbst zu veröffentlichen, zu seinen eigenen Bedingungen, und erst später traditionell über seinen Verlag herausbringen lässt (ich selbst konnte mir leider nur die Verlagsversion leisten), da es so viel mehr Spaß macht, diesen Roman zu lesen, wenn eins zumindest etwas über den Cosmere bescheid weiß. Die Story funktioniert auch ohne dieses Wissen hervorragend, allerdings macht der Erzähler unheimlich viele Anspielungen auf andere Welten im Cosmere. Ich empfehle, mindestens auch Elantris und die erste, besser noch auch die zweite Mistborn Reihe gelesen zu haben, dann machen viele der Anspielungen viel mehr Sinn.

Ich liebe Tress als Protagonistin einfach so sehr, weil Brandon mit ihr als Charakter so viele „traditionelle“ Narrative bricht und auch der Erzähler spielt immer wieder mit unter narratologischer Hinsicht unkonventionellen Mitteln und bricht mit den Erwartungen der Leserschaft. Mein literaturwissenschaftlich gebildetes Herz liebt solche Spielereien! Und auch sonst ist Tress einfach so ein herzensguter Mensch. Die Crew der Crow’s Song sind Piraten, die Tress nicht wirklich mit ihrem Konsens an Bord halten. Tress findet jedoch heraus, dass Kapitän Crow nichts Gutes im Schilde führt und die Besatzung ausnutzt, und beschließt daher, auf der Crow’s Song zu bleiben, auch als sie die Chance zur Flucht hat, da sie ihnen helfen will. Tress ist einfach ein netter, bodenständiger Mensch, nicht unbedingt die typische Heldin für eine Heldenreise, aber gerade deswegen einfach die perfekte Protagonistin für die Art von Geschichte, die Brandon hier erzählen will. (Wobei der Erzähler natürlich nicht Brandon ist, sondern ein alter Bekannter *zwinki zwonki*)

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich liebe einfach alles an diesem Roman! Brandon ist wieder einmal eine bezaubernde, kurzweilige Geschichte gelungen, die ihre Leser in den Bann zieht, und mit liebenswürdigen Charakteren und einer faszinierenden Welt aufwarten kann. Und wer schon etwas tiefer in den Cosmere eingestiegen ist, wird viele, viele Easter Eggs finden.

Habe ich schon erwähnt, dass es das erste Mal ist, dass ein Drache offen auftritt?

 

Mögliche Trigger

- Tod, Gewalt an Menschen

 

Werbung nach §6 TMG

Reiheninformation

Autor*in: Brandon Sanderson

Titel: Tress Of The Emerald Sea

Sprache: Englisch

Umschlagsillustration: Carlos Guimerà

Reihe: Nein (aber Teil des Cosmere)

Seiten: 369

Originalpreis: $29.99

Verlag: Tor

Genre: Fantasy

ISBN: 978-1-250-89965-1

Erscheinungsjahr: 2023

 

Falls euch meine Arbeit gefällt, würde ich mich über einen kleinen Obolus bei BMC freuen :)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Die Kommentarfunktion auf dem Blog ist abgestellt, um Spam zu vermeiden, aber auch, weil ich all der relativierenden "Ja, aber ...!"-Kommentare müde wurde, die sich mehr und mehr häuften, besonders bei Posts, die keine reinen Rezensionen waren. Ihr könnt mich immer noch über Twitter erreichen.

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.