Denn ich fresse nicht nur Jungfrauen!

Mittwoch, 4. Oktober 2023

Rezension: Mitternacht von Christoph Marzi

Christoph Marzi gehörte in meinen Jugendjahren zu meinen Lieblingsautoren. In den letzten Jahren musste ich jedoch feststellen, dass seine Uralten Metropolen leider nicht gut gealtert sind. Aber wie sieht es mit seinen neueren Werken aus? Also schnappte ich mir „Mitternacht“ und begab mich erneut nach London.

Nicholas lebt ein typisches Stundentenleben: Irgendwie über die Runden kommen, mal dieser, mal jener schlecht bezahlte Stundentenjob und generell das Leben locker sehen. Umso mehr wirft es ihn aus der Bahn, als er sich plötzlich in einem alternativen London wiederfindet und dann auch noch lernen muss, dass in diesem London die Geister der Verstorbenen verweilen, bis in der Welt der Lebenden sich niemand mehr an sie erinnert und sie verblassen. Jemand im Verborgenen versucht jedoch, aus dem Reich der Toten heraus Einfluss auf die Welt der Lebenden zu nehmen und Nicholas mit seiner Fähigkeit, zwischen den Welten zu wechseln ist vielleicht der einzige, der die Geschehnisse zum Guten wenden kann.


Christoph Marzi mag London als Setting und er mag ein magisch angehauchtes Setting, das dürfte mittlerweile hinlänglich bekannt sein. Und ein nebulöses London, in dem die Toten verschiedenster Zeiten verweilen, ist schon ziemlich cool.

Es gibt in diesem London sogenannte Flüsterer, das sind Geister, die von anderen Geistern angeheuert werden, um von einer Zwischenwelt aus Kunstschaffenden die Geschichten der Verstorbenen im Schlaf einzugeben, damit deren Geschichten nicht vergessen werden und somit die Geister weiter bestehen können. Die Inspiration, bestimmte Geschichten zu erzählen, stammt hier also nicht (immer) aus den Autor*innen selbst, sondern kann ihnen mitunter eingegeben worden sein.

So weit, so gut. Ich fand diese Idee tatsächlich gar nicht so schlecht und habe auch gern darüber gelesen. Ich stehe eher mit den technischen Seiten der Erzählung auf dem Kriegsfuß. Was mich gleich direkt am Anfang an gestört hat, war ein unnötiges Hetendrama, als Nicholas seine da noch Freundin Erica beim Fremdgehen erwischt und mit ihr Schluss macht. Erica trägt nichts zur eigentlichen Handlung bei und hätte auch ersatzlos gestrichen werden können. So war es einfach nur nervig und anstrengend heteronormativ.

Auch der Erzählstil, das was mich einmal so sehr an Marzi fasziniert hat, fiel mir hier eher anstrengend auf. Ich weiß nicht, ob sich meine Lesegewohnheiten im Laufe der Jahre so sehr verändert haben, oder Marzi einfach schwächelt. Aber ich fand es einfach anstrengend, wie Charaktere Dinge manchmal mehrfach wiederholen und Informationen nur sehr kleinschrittig preisgeben (immerhin findet das Nicholas an einer Stelle auch nervig, also war es zumindest in Teilen wohl gewollt, dass sich Chesterton alles aus der Nase ziehen lässt). Generell denke ich, dass die Geschichte auch mit deutlich weniger Worten hätte erzählt werden können, manches zieht sich sehr lang hin und braucht, bis es auf den Punkt kommt.

Und dann ist da noch das Ende des Romans. Das ist einfach ein großes, enttäuschendes Nichts. Marzi berichtet im Nachwort, wie es dazu kam: Er hatte während des Schreibens einen schweren Schlaganfall, der ihn halbseitig gelähmt hat. Das hat ihm das Schreiben ungemein erschwert und ich kann absolut verstehen, wenn er dann nicht noch zehntausende Worte tippen will, wenn er es nur noch unter großen Mühen bewerkstelligen kann. Leider war zu dem Zeitpunkt der Roman noch nicht beendet, und dementsprechend konnte Marzi das Ende nur noch skizzieren, sodass der Roman überhaupt noch zu irgendeinem Abschluss kommt. „Irgendein Abschluss“ trifft es dabei allerdings, da die letzten Kapitel tatsächlich kaum mehr als jeweils ein paar knappe Sätze sind, die grob erzählen, was in diesen Kapiteln hätte passieren sollen. Mit anderen Worten: sehr enttäuschendes Ende, aber in diesem Fall waren schlicht höhere Mächte am Werk, sodass es eigentlich schon bemerkenswert ist, dass Marzi den Roman dennoch beendete. Ich wünsche ihm alles Gute!

Wer Geistergeschichten mag, kann dem Roman durchaus eine Chance geben. Für mich blieb die Erzählung stellenweise zu aufgebläht und langatmig (trotz des Faktes, dass ich den Roman an einem Tag durchlas) und auch die Charaktere haben keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Potenzielle Trigger:

- Tod (off page, Thema)


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Reiheninformation

Autor*in: Christoph Marzi

Titel: Mitternacht

Sprache: Deutsch

Reihe: Nein

Seiten: 314

Originalpreis: 15,00€

Verlag: Piper

Genre: Fantasy

ISBN: 978-3-492-28090-7

Erscheinungsjahr: 2019

 

Wenn euch meine Arbeit gefällt, würde ich mich über einen kleinen Obolus bei BMC freuen :)


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