Manche
Autor*innen schüchtern ein. Rebecca F. Kuang gehört dazu. Gleich
der Erstlingsroman der jungen Frau wurde zu einem internationalen
Erfolg. Mit »Die Schamanin« hat es »The Poppy War« nun auch in
die deutschen Regale geschafft.
Rin
ist ein junges Mädchen aus einem provinzialen Dorf. Als Kriegswaise
hat sie keine allzu rosigen Zukunftsaussichten: Ihre Pflegeeltern
benutzen sie als billige Arbeitskraft und wollen sie als Braut an
einen wohlhabenden Händler verkaufen. Rins einzige Chance auf ein
Entkommen ist die renommierte Militärakademie von Sinegard. Um dort
aufgenommen zu werden, muss sie jedoch zu den Besten der Besten
gehören und konkurriert mit den Söhnen und Töchtern der
Feudalherren, die ihr Leben lang dafür gelernt haben. Rin schafft es
tatsächlich, doch damit fängt ihre Reise erst an. Mit einem Male
stehen ihr alle Türen offen und Rin hat ihre Zukunft selbst in der
Hand. Als die benachbarte Nation, die Föderation von Mugen, in das
Nikarische Reich einfällt und Rin mit einem Mal ein Schwert in die
Hand gedrückt bekommt, scheint ihr Pfad klar zu sein: Sie lebt, um
ihre Kaiserin zu verteidigen. Doch jene birgt ein düsteres
Geheimnis.
Der
erste Band von »Im Zeichen der Mohnblume« ist gnadenlose grimdark
Fantasy in Anlehnung an den Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg,
durchmischt mit phantastischen Elementen und Politik Chinas zur Mitte
des 20. Jahrhunderts. Opium beispielsweise spielt eine wichtige Rolle
in Rins Welt, ganz so wie es in China zur Zeit der Opiumkriege der
Fall war. Rin selbst benutzt im Laufe der Geschichte Opium, um mit
den Göttern in Verbindung zu treten.
Wer
diesen Roman lesen möchte, sollte sich bewusst machen, dass Frau
Kuang sehr schonungslos mit der Darstellung der Gräuel eines Krieges
umgeht. Ihr gelingt es unheimlich gut, die Unmenschlichkeit dessen
darzustellen, den Kampf um das nackte Überleben, wenn alle Gedanken
nur noch auf den Gegner vor sich fokussiert sind und wenn dieser all
seine Menschlichkeit verliert. Vor allem das. Rin erlebt ihre Feinde
als gesichtslose Masse, fast schon dämonenhaft, wie sie wie eine
Heuschreckenplage in ihrer Heimat einfallen und unbeschreibliche
Gräueltaten begehen. Kuang beschreibt ebenjene sehr deutlich und
scheut auch nicht davor zurück, Gewalt an Kindern und Babys zu
zeigen. Wer so etwas nicht lesen kann, sollte eventuell nicht diesen
Roman lesen oder zumindest die entsprechenden Kapitel überspringen.
Ich
war zu Beginn etwas vorsichtig mit meiner Begeisterung. Aber
irgendwann ab dem zweiten Drittel des Romans hatte er mich vollends
und ich konnte ihn wortwörtlich nicht mehr zur Seite legen. Rins
Welt ist ausgesprochen lebhaft und mit viel Liebe zum Detail
geschildert, sodass die*der Leser*in ein gutes Gespür für ebenjene
bekommt und sie deutlich vor Augen hat. Angenehm ist, dass wir dieses
Mal keinen westlichen Fokus auf eine erdachte Welt haben, sondern der
einer chinesisch-stämmigen Frau, die auch noch mit der
Propagandaliteratur des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges
dissertierte. Ihr Fachwissen hat deutliche Einflüsse auf den Roman
und bereichert diesen ungemein.
Auch
die Lehren des Daoismus fließen in den Roman ein, ohne dass er
konkret benannt wird. Rins Lehrer Jiang beispielsweise lehrt sie, wie
sie den Lehren des Daoismus entsprechend mit den Göttern in Kontakt
treten kann. Ich kenne mich leider mit dieser Weltanschauung nicht
genug aus, um weitere Stellen konkret zu nennen, kann aber auf jeden
Fall lobend hervorheben, dass Kuang generell viele Dinge aus
verschiedenen Perspektiven betrachtet. Gerade die Fragen der
Kriegsführung spielen ab der zweiten Hälfte des Romans eine große
Rolle. Welche Aktion eines Kriegsherrn ruft welche Gegenreaktion beim
Feind hervor und führt zu welchem Ergebnis? Kurzfristige Erfolge auf
dem Schlachtfeld können umso härtere Gegenschläge hervorrufen, die
den momentanen Erfolg wieder zunichte machen können.
Der
Roman fokussiert sich auf Rin und beleuchtet ihre Psyche sehr
umfangreich und glaubwürdig. Sie trifft im Laufe des Romans
Entscheidungen, die schreckliche Folgen haben, für die man sie
vielleicht sogar verurteilen würde. Im Kontext ihrer Erfahrungen
ergeben diese jedoch Sinn. Das Motiv der Rache spielt für sie vor
allem gegen Ende eine immer größere Rolle. Sie muss sich dann
jedoch auch mit der Frage auseinandersetzen, ob sie mit ihren Taten
wirklich besser handelt als der Feind.
Der
einzige wirkliche Kritikpunkt, den ich habe, liegt jedoch auch hier.
Zu Beginn des Romans ist Rins einzige Motivation, ihrem zukünftigen
Ehemann zu entkommen, indem sie in Sinegard aufgenommen wird. Als sie
das schafft, bricht das weg. Rin ist ab diesem Zeitpunkt wie ein
Kind, das wahllos auf Dinge zeigt und sagt: »Das gefällt mir, das
will ich haben.« Sie scheint zunächst ziemlich planlos zu sein.
Zugegeben: Sie ist da noch ein Kind, dem plötzlich alle
Möglichkeiten offen stehen. Das ändert sich jedoch, als sich ihre
schamanistischen Kräfte zeigen und schließlich Nikara angegriffen
wird. Rin wird in dem Moment erwachsen, als ihr ein Schwert in die
Hand gedrückt wird.
Rin
ist in ihrem Vorgehen extrem zielorientiert. Sie will in Sinegard
aufgenommen werden, also macht sie wirklich alles, um dieses Ziel zu
erreichen. Dabei schreckt sie auch nicht davor zurück, sich selbst
zu verletzen. Ist sie erst einmal in Sinegard, bekommt sie das erste
Mal ihre Regelblutung. Sie wurde darüber nie aufgeklärt, erschreckt
sich gewaltig darüber und empfindet das als Hindernis für ihre
Ausbildung. Ihre logische Konsequenz ist, sich die Gebärmutter
entfernen zu lassen, um das Problem mit der Blutung zu beseitigen.
Ein extrem krasser Schritt. Ehrlich gesagt, empfand ich das jedoch
als positiv, weil Rin somit (vorläufig) kein weiblicher Charakter
ist, dem es auch nur in irgendeiner Weise um Romantik und Kinder
geht. Ansonsten scheint es Frauen grundsätzlich bestimmt zu sein,
Kinder haben zu wollen, und nie werden Besitzer*innen von
Gebärmüttern thematisiert, denen das vollkommen abgeht. Selbst
Yennefer aus Sapkowskis Romanen ist zwar ebenfalls steril, leidet
aber darunter, keine Kinder bekommen zu können. Das vermittelt den
Eindruck, dass es Frauen schlussendlich immer ums Kinder bekommen
geht. Bei Rin ist das nicht der Fall.
»Die
Schamanin« ist ein schonungsloser Auftakt einer Grimdark Fantasy
Trilogie. Kuang schreckt nicht vor schwierigen Themen zurück und
schildert Krieg so grausam, wie er ist. Ihre Protagonistin Rin ist
eine Kämpferin durch und durch und schreckt auch vor schwerwiegenden
Problemlösungen nicht zurück. Ihre Welt wird lebhaft geschildert
und bietet einen angenehm neuen Blickwinkel auf eine Fantasy-Welt.
Kurzum: Der Hype um »The Poppy War«, so der originale Titel, ist
absolut berechtigt und der Roman eine unbedingte Empfehlung!
Ich
danke dem Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
Mögliche
Trigger
-
Gewalt gegen Menschen
-
Tod/Mord
-
Militärgewalt
-
Folter
-
Vergewaltigung
-
Selbstverletzendes Verhalten
-
Krieg
-
Kriegstrauma
-
Drogenkonsum
Reiheninformation
Autor*in:
R.F. Kuang
Titel:
Im Zeichen der Mohnblume – Die
Schamanin
Sprache:
Deutsch
Übersetzung:
Michaela Link
Umschlagsgestaltung:
Isabelle Hirtz
Reihe:
Band 1
Seiten:
672
Originalpreis:
12,99
Verlag:
Blanvalet
Genre:
Fantasy
ASIN:
B07Q5ZDLQB
Erscheinungsjahr:
2018
Weitere Rezensionen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Die Kommentarfunktion auf dem Blog ist abgestellt, um Spam zu vermeiden, aber auch, weil ich all der relativierenden "Ja, aber ...!"-Kommentare müde wurde, die sich mehr und mehr häuften, besonders bei Posts, die keine reinen Rezensionen waren. Ihr könnt mich immer noch über Twitter erreichen.
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.