Denn ich fresse nicht nur Jungfrauen!

Donnerstag, 24. Juni 2021

Rezension: Die Götter müssen sterben von Nora Bendzko

Kämpferisch und feministisch präsentiert sich Nora Bendzkos neuer Roman »Die Götter müssen sterben«. Ihre Amazonen sind los und machen die griechische Welt unsicher.

»Wird sie die Amazonen retten – oder in den Untergang führen?

Düster, dramatisch und atemraubend actionreich: Dark Fantasy aus der Welt der Amazonen


Die Zeit der Unterdrückung ist vorbei!

Troja wird fallen, und die Amazonen werden sich endlich an den Helden rächen, die ihresgleichen töteten. So besagt es eine Prophezeiung von Artemis, der Göttin der Jagd, Herrin des Mondes und Hüterin der Frauen. Wenn die prunkvolle Stadt in Schutt und Asche liegt, sollen die Amazonen die Welt beherrschen.

Doch Artemis segnet ausgerechnet Areto mit ihren Kräften, die keine Kriegerin ist und auch sonst kein hohes Ansehen genießt. Wie kann eine wie sie der Macht einer Göttin würdig sein und ihre Schwestern in eine neue Welt führen?

Während Areto lernen muss, mit ihrem Schicksal umzugehen, spaltet ihre Erwählung die Amazonen in zwei Lager – ein Konflikt, der ihrem Volk im Trojanischen Krieg den Untergang bringen könnte. Denn der wahre Feind lässt sich nur mit vereinten Kräften töten. Um das Leid der Amazonen zu enden und sie zur Macht zur führen, müssen nicht nur Helden sterben, sondern auch Götter.«

(Quelle: Goodreads)


 Die herausragendste Stärke des Romans ist definitiv seine Diversität. Nora Bendzko hat wirklich eine Menge herausgeholt und so haben wir lesbische und asexuelle Charaktere, aber auch nichtbinäre Personen und polyamoröse Beziehungskonzepte. Zudem ist die Protagonistin an einer Depression erkrankt und kämpft während des Romans immer wieder damit.

Besonders hat mir die Darstellung Iphitos gefallen, denn sier benutzt Neopronomen, die sich hervorragend in den Fließtext einbinden. Das »Argument«, Neopronomen würden den Lesefluss stören, zieht also definitiv nicht! Passend dazu wird auch überall, wo es hingehört, gegendert, und auch das fügt sich hervorragend in den Lesefluss ein. Nora Bendzko verwendet in ihrer Welt die Bezeichnung Vielseelige für nichtbinäre Menschen, was nicht nur zum Einen gut in das Setting passt, sondern allgemein eine gelungene Kreation ist. Nonbinary ist kein drittes Geschlecht, keine dritte Schublade, in die man nichtbinäre Personen stopfen kann, nachdem sie festgestellt haben, dass sie in keine der binären Schubladen passen. Vielmehr ist es ein umbrella term, der viele verschiedene Identitäten umfasst, die sich nicht immer alle über einen Kamm scheren lassen. Eben viele Seelen.

Grundsätzlich begrüße ich es auch, wenn psychische Krankheiten thematisiert werden und das auch noch im Fokus steht. Areto erkrankte schon recht früh in ihrem Leben an einer Depression und hat auch bis zum Schluss damit zu schaffen. Sie nennt die Krankheit ihren Schatten und die sogenannten Täterintrojekte sprechen durch diesen Schatten zu ihr. Ein definitiver Triggerpunkt ist ihre lesbische Liebe, die sie erst zu akzeptieren lernen musste, da sie schon früh dafür hart bestraft wurde. Dieser Heilungsprozess kann nicht einfach so »weggeliebt« werden und ihre Partnerin Clete weiß das auch. Sie steht Areto zur Seite und macht ihr klar, dass sie immer für sie da ist, wenn der Schatten wieder einmal spricht.

So gut und einfühlsam das auch geschrieben ist, habe ich doch ein Problem damit: Aretos Symptomatik fühlt sich sehr klinisch an. Das soll heißen, dass es faktisch nicht falsch ist, was in dem Roman geschrieben steht, es fühlt sich jedoch wie aus einem Lehrbuch abgeschrieben an. Im Folgenden spreche ich aus meinen eigenen Erfahrungen, ich streite nicht ab, dass es Menschen gibt, die wirklich so empfinden. Nur habe ich meine eigene Erkrankung nie so erlebt: Denn Täterintrojekte sprechen zu mir nicht in Du-Botschaften. Sie sagen nicht: »Du bist nichts wert. Du darfst so nicht lieben. Du bist verabscheuungswürdig. Alle anderen sind besser ohne dich dran.« Sie sagen: »Ich bin nichts wert. Ich darf so nicht lieben. Ich bin verabscheuungswürdig. Alle anderen sind besser ohne mich dran.«

Und das ist das perfide an ihnen. Sie sind oftmals so verinnerlicht, dass sie nicht als abstrakte Entität wie Aretos Schatten auftreten, sondern die betroffene Person glaubt, dass das wirklich ihre Gedanken sind. Was in gewisser Weise auch stimmt, sie sind immerhin nicht eingegeben und keine Wahnvorstellungen (das wäre eher das Krankheitsbild einer schizophrenen Störung). Betroffene Personen müssen erst mühsam erlernen, dass da nicht sie selbst sprechen, sondern im übertragenen Sinne die Krankheit. So gesehen ist die Darstellung durch den Schatten nicht völlig verkehrt, nur macht Areto nicht den Eindruck, dass sie im Heilungsprozess schon so weit ist, das gelernt zu haben. Die Täterintrojekte sind dafür teils noch zu tief in ihr verwurzelt, sie abstrahiert das jedoch von Anfang an in ihren Schatten. Nun könnte man natürlich überlegen, ob sie nicht eher ein anderes Krankheitsbild hat, allerdings werden depressive Stimmungen explizit im Vorwort hervorgehoben, und daher würde ich eben doch kritisieren, dass die Darstellung nicht völlig exakt ist. Allerdings muss ich auch dazu sagen, dass es meckern auf hohem Niveau ist, im Großen und Ganzen ist es doch stimmig geschrieben.

Abgesehen davon würde ich es ganz allgemein begrüßen, wenn wir nicht immer nur Depression zu lesen bekämen. Das ist irgendwie die to go Krankheit geworden, wenn es darum gehen soll, psychische Gesundheit einzubringen. Es gibt zwar in einer Nebenrolle eine Figur mit Mysophobie, aber das wird kaum mehr als erwähnt. Dabei gibt es noch so viele andere Krankheitsbilder da draußen: Persönlichkeitsstörungen, verschiedenste Phobien, Angsterkrankungen, Panikstörungen, bipolare Störungen, Traumata und so weiter. Ich würde sehr gern auch mehr darüber lesen.

Aber genug davon. Nora Bendzko behandelt all ihre Themen mit der nötigen Sensitivität und hat sich auch eine kreative Lösung für die Triggerwarnung einfallen lassen. Es gibt »Eine Vorrede der Göttin«, also ein Vorwort, in dem literarisch die potenziell triggernden Themen des Romans genannt werden, als wäre dieser kleine Text Teil der Erzählung. Für mich persönlich funktioniert das nicht, mir gefällt die Idee dennoch, da sie auf jeden Fall eine kreative Alternative zur gängigen Liste darstellt. Ein netter Nebeneffekt dessen ist der Umstand, dass die Vorrede es auch auf das Hörbuch geschafft hat, wie mir gesagt wurde.

Der Roman beinhaltet explizite Sexszenen. Wem das nicht unbedingt zusagt, kann sie einfach überblättern. Ich persönlich empfinde sie größtenteils als stimmig geschrieben (und bin ganz froh darum, dass auf die betonte Darstellung diverser Körperflüssigkeiten verzichtet wurde).

Der Klappentext ist unter Umständen etwas irreführend, denn zumindest in mir hat er die Erwartung geweckt, dass sich die Handlung zu einem nennenswerten Teil in Troja abspielen wird. Das ist tatsächlich nicht der Fall, die Amazonen erreichen erst ganz am Ende Troja. Viel mehr ist der Roman eine Reise durch das antike Griechenland und seine Mythenwelt. Auf ihrem Weg erleben die Amazonen eine Menge Abenteuer und treffen auf allerlei bekannte Gestalten aus Sage und Legende wie zum Beispiel den Gott Dynonisos oder den Helden Achilles.

Die Handlung braucht etwas, bis sie in Gang kommt, dann jedoch ist sie definitiv eine unterhaltsame Reise. Die Sprache wirkt mitunter einen Hauch zu aufgesetzt und steif, ist größtenteils aber stimmig. Mitunter hätte ich mir aber gewünscht, dass auch die Charaktere etwas mehr Tiefgang bekommen, insbesondere bei den wichtigen Nebenrollen. Diese definieren sich oft nur durch wenige Eigenschaften wie den asexuellen Sklaven, der ein guter Freund Aretos ist.

Insgesamt ist »Die Götter müssen sterben« ein Roman, der auf jeden Fall durch seine Diversität punktet, welche mit angemessener Sensitivität behandelt wurde. Etwas von dieser Mühe hätte gern auch in die Ausarbeitung einiger Charaktere fließen können. Insgesamt jedoch bleibt es ein unterhaltsamer Roman, der gut und gern als Paradebeispiel herhalten kann, wie Diversität aussehen kann.

Mögliche Trigger

- Suizidalität

- Depressionen

- Gewalt gegen Mensch und Tier

- sexuelle Gewalt

- Sklaverei

- Blut, Krieg und Tod

- Verlust von Angehörigen


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Reiheninformation

Autor*in: Nora Bendzko

Titel: Die Götter müssen sterben

Sprache: Deutsch

Umschlagsgestaltung: Christl Glatz

Reihe: Nein

Seiten: 512

Originalpreis: 14,99€

Verlag: Droemer Knaur

Genre: Dark Fantasy

ISBN: 978-3-426-52611-8

Erscheinungsjahr: 2021

 

Weitere Rezensionen

 - Literatopia

2 Kommentare:

  1. Hallo!

    Vielen Dank für deine interessanten Einblicke! Da wurde ja schon recht viel der aktuellen Themen reingepackt habe ich das Gefühl.

    Einerseits ist es gut, dass über Depressionen zurzeit viel "gesprochen" wird, ich selber habe in Büchern bisher noch nicht so viel darüber gelesen. Dass dann das Gefühl aufkommt, es sei "in Mode" ist dann natürlich auch wieder nicht so gut ... ich weiß nicht.
    Allerdings gibt es einfach sehr viele betroffene Menschen, deshalb kann man da durchaus darauf aufmerksam machen. Wie gesagt, ich hab es jetzt noch nicht wirklich oft in Büchern gesehen.

    Das Verhalten bei psychischen Krankheiten finde ich sehr individuell. Auch wenn es allgemeine Kriterien gibt, ist jeder Mensch ein "Fall" für sich und schwer zu verallgemeinern. Ich fand es z. B. in Matt Haigs "Die Mitternachtsbibliothek" nicht so gut rübergebracht.

    Ich hab grade übrigens ein Jugendbuch gelesen: Wörter an den Wänden von Julia Walton, da geht es um Schizophrenie. Das war wirklich gut muss ich sagen. Auch wenn hier auch viel "typisches" mit einfließt, macht es doch sensibel für diese Krankheit. Grade für Jugendliche.

    Liebste Grüße, Aleshanee

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  2. Ahoi,

    eine tolle Besprechung; gerade auch deine persönliche Position zur Darstellung der Depression! Bezüglich der Neopronomen/des Genderns kann ich dir nur zustimmen; das hat den Lesefluss nicht gestört. Und überhaupt, mehr solche Bücher, die Diversität leben und feiern! Gerne habe ich deine Rezension in meine Schatztruhe aufgenommen :)

    Liebe Grüße
    Ronja von oceanloveR

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