Hallo, ich bin Tristan Lánstad, Autor und Sensitivity Reader. Ich schreibe seit 2015 Romane und Kurzgeschichten. Außerdem sammle ich als 'Desasterotik' auf Twitter lustige Zitate aus Erotikromanen.
"Plastikefeu hält sich gut" ist zuallererst eine klassische Romanze zur Zeit der Coronapandemie. Der Protagonist Kay arbeitet freiberuflich als Personenschützer. Er wird vom Virologen Marian Engel eingestellt, um ihn vor einem mutmaßlichen Stalker zu beschützen, der ihm Drohbriefe schreibt. Dabei kommen sich die beiden unerwartet näher. Gleichzeitig ist der Roman auch eine Detektivgeschichte: Wer verfolgt Marian und warum? Da Marian als Virologe gerade im Fokus des öffentlichen Interesses steht und sich die Briefe direkt auf seinen Job beziehen, liegt die Vermutung nahe, dass Coronaleugner*innen ihn aus dem Weg haben wollen. Kay wird eher zufällig in diese Frage involviert, macht es sich aber dann zur Aufgabe, der Sache auf den Grund zu gehen.
Was brachte dich auf die Idee zu dem Roman?
Ich fand es faszinierend, wie Virolog*innen plötzlich zu Beginn der Pandemie zu regelrechten Stars wurden. Es ging nicht nur um die faktischen Inhalte, sondern auch das Auftreten, die Attraktivität, das Privatleben. Es kommt eher selten vor, dass ein Haufen Menschen plötzlich davon schwärmt, wie gut ein männlicher Wissenschaftler aussieht. Das wollte ich aufgreifen.
Gleichzeitig hat mich das Genre von Romanzen zwischen Personenschutz und Stars schon immer gereizt. Ich mag komplexe zwischenmenschliche Situationen, in denen es keine klaren Machtverhältnisse gibt. Einerseits sind die Auftraggeber*innen von Personenschützer*innen ganz direkt in einer Machtposition, weil sie ja die Arbeitsleistung bezahlen. Andererseits nimmt man Personenschutz ja in Anspruch, weil man vor etwas geschützt werden muss. So sind also die Auftraggeber*innen gleichzeitig in einem Abhängigkeitsverhältnis, sie brauchen die Dienstleistung. Das zu beleuchten, fand ich spannend. Dass Marian BDSM praktiziert und Kay dann quasi eine dritte Ebene von Machtverhältnissen entdeckt, war aus dem Konstrukt heraus eine weitere spannende Ebene.
“Plastikefeu hält sich gut” ist eine queere Romane mit einer Prise Action. Was war dir beim Schreiben in Sachen Repräsentation besonders wichtig?
Einerseits zentral natürlich, dass es wenige schwule Romanzen zwischen cis Männern und trans Männer gibt, die bereits erwachsen und mitten im Berufsleben sind. Kay ist hier auch interessant, weil er ganz eindeutig und offen bisexuell und dick_fett ist und damit nicht so richtig in das stereotype Bild eines MLM (men loving men) hineinpasst.
Beim Schreiben rückten dann allerdings auch Kays und Marians Freundschaften und Beziehungen zu nicht-queeren Menschen in den Vordergrund. "Plastikefeu hält sich gut" ist deshalb auch eine Geschichte über queere Freund*innenschaft, über Allys und deren Wirkkraft. Eine heimliche Utopie dahingehend, wie wichtig ein bestärkendes soziales Netzwerk ist.
Was macht für dich gute queere Repräsentation aus?
Vor allem Komplexität. Kay hat einfach viele Seiten, die mit seiner Queerness eigentlich nichts zu tun haben. Er mag Science Fiction und ist ein echter Nerd, was das angeht. Er kann tollpatschig sein, auch mal missgelaunt, oder auf dem Schlauch stehen. Er beobachtet viel und grübelt viel. Er hat mit Ben und Jenny zwei völlig unterschiedliche Freund*innen, die sein Leben auf völlig unterschiedliche Art bereichern. Er hat einen Job, den er mag und in dem er gut ist. Er entdeckt neue Seiten an sich und erweitert seinen Horizont.
Auf dieselbe Art ist Marian mehr als nur "trans Mann". Man erlebt sehr direkt, dass er gerade aus einer schlechten Beziehung kommt, dass er Pflanzen liebt, aber sich praktisch in einem selbstgebauten Urwald vergraben hat. Dass er sich bestimmter Machtgefälle bewusst ist und andere kaum wahrnimmt.
Ich hab leider zu oft das Gefühl, dass bei Charakteren, vor allem aber queeren Charakteren, das Leben irgendwie leer ist. Oder dass sie neben ihrer Queerness genau eine Sache haben, die sie definiert. Aber auch, dass ihre eingearbeiteten Charakterfehler sehr oberflächlich sind statt tiefer in ihre Geschichte eingebaut.
Und dann gibt es eben auch wenig Repräsentation von queeren Erwachsenen, die mitten im Leben stehen. Die arbeiten, Rechnungen bezahlen, ihre Wäsche waschen und seltener Partys feiern.
Wir hatten vor kurzem Weihnachten. Wie sieht das perfekte oder vielleicht auch chaotische Weihnachten von Marian und Kay aus, wenn sie es denn feiern? Und wie verbringen sie Neujahr?
Da sowohl Kay als auch Marian neurodivers sind und Trubel nur begrenzt aushalten, würden sie vermutlich sehr gemütlich und privat Weihnachten feiern. Beide stehen aus unterschiedlichen Gründen ihren Eltern nicht nahe, deshalb wäre das für beide keine Option, mit denen zu feiern. Marian ist außerdem recht umweltbewusst, Kay liebt Tiere, vor allem Vögel, insofern können beide Silvester und der Umwelt- und Lärmverschmutzung durch Feuerwerk nicht viel abgewinnen. Wenn sie in größerer Runde feiern, dann vermutlich mit Freund*innen und deren Partner*innen zuhause.
War es für dich eine bewusste Entscheidung, den Roman in sich geschlossen zu schreiben und die Geschichte nicht auf eine Reihe auszulegen?
Ich habe leider einen Hang dazu, Geschichten viel (viel viel) zu weitschweifig anzulegen. Der Roman war damit auch eine Herausforderung an mich, etwas Kurzes, in sich Geschlossenes zu schreiben. Außerdem weiß ich von vielen Lesenden, dass der letztliche Hang auf dem Buchmarkt zu langen Serien sie nervt. Es werden, so glaube ich, gerade wieder verstärkt Geschichten gesucht, die man in einem Rutsch lesen kann.
Hast du vielleicht schon Ideen, ob und wenn ja wie es für die Protagonist*innen weitergehen kann oder soll?
Da ich ja leider dazu tendiere, auch bei abgeschlossenen Geschichten immer weiter zu denken: Ja :D Da Marian und Kay am Ende des Buches ja ganz am Anfang ihrer Beziehung stehen und es mehrere ungeklärte Details gibt, habe ich über ein Sequel nachgedacht. Da Marian polyamor ist, ist auch eine Erweiterung ihres Polyküls (also ihrer Mehrfachbeziehung) etwas, das ich gern schreiben wollte. Außerdem würde ich auch gern noch mehr BDSM-Repräsentation schreiben. Andererseits hat Kay auch als Detektiv aus Neugier sehr viel Potenzial.
Gab es Szenen, denen du beim Schreiben besonders entgegengefiebert hast? Und welche Szenen wollten überhaupt nicht zu Papier gebracht werden?
Als Erotikautor fiebere ich natürlich immer dem Zeitpunkt entgegen, an dem ich dann mein ganzes Können einsetzen und die Erotikszenen schreiben kann. Das geht mir dann auch leicht von der Hand. Aber auch alberne Dialoge zwischen Kay und seinen Freund*innen kann ich den ganzen Tag schreiben. Schwerer fiel es mir, den Fortschritt zwischen Kays und Marians Beziehung richtig hinzukriegen. Der Übergang von kühler Distanz zu Neugier zu echter Zuneigung ist immer schwierig, und er muss passen.
Ansonsten schreibe ich sehr gern Konflikt- und Actionszenen, aber sie bringen mich regelmäßig auch zur Verzweiflung. In so einer Szene müssen die Charaktere das tun, was ich will, damit am Ende die Handlung noch stimmt, aber sie reagieren in dem Moment ja instinktgetrieben und treffen schnelle Entscheidungen. Das glaubwürdig rüberzubringen, ist immer ein hartes Stück Arbeit.
Haben deine Charaktere beim Schreiben ein Eigenleben entwickelt und vielleicht auch hin und wieder deine Pläne durchkreuzt? Oder hast du als Autor mit eiserner Faust über sie bestimmt?
Ich sehe meine Charaktere selten als wirklich eigenwillig. Oft ist es aber so, dass ich beim Schreiben merke, welche Geschichte ich lieber mit ihnen erzählen würde oder was besser zu ihnen passt. Wenn es mir gelingt, einen Charakter weiter zu definieren und auszuarbeiten als vormals gedacht, bekommen sie immer größere Rollen in der Handlung. Am besten passt vermutlich Marians Freund Jeremy in diese Rolle des 'Charakters mit Eigenleben'. Zuerst hatte er nur eine winzige Nebenrolle. Jetzt tritt er deutlich präsenter auf.
Gibt es eine Szene oder vielleicht auch nur einen Absatz, einen Satz, der dir besonders ans Herz gewachsen ist? Warum?
Ganz generell sind mir alle Szenen mit Kays bestem Freund Ben sehr ans Herz gewachsen, weil er einfach ein alberner Charakter ist, der immer sagt, was andere nur denken. Als Kay ihn fragt, was das Problem dabei ist, ein paar illegale Fotos von Marians Verfolgern zu machen, sagt er: "Das hat was mit Moral zu tun, mein Bester. Moral, das ist kein Aal, der im Moor lebt, das heißt: Man macht keine Fotos von Fremden." Ich mag es, wenn ich über die Aussagen meiner eigenen Charaktere lache.
Hast du schon Ideen für weitere Projekte? Möchtest du uns etwas darüber verraten?
Ich habe in den letzten Jahren meine Liebe für Kurzgeschichten entdeckt und plane, nächstes Jahr zwei Sammlungen von queeren Kurzgeschichten zu schreiben. Eine soll sich sehr spezifisch um zwei Magiercharaktere drehen, die andere soll eine Sammlung aus Fantasy- und Sci-Fi-Kurzgeschichten sein. Beide Sammlungen werden im Erotikgenre beheimatet sein und wieder trans Männer als Protagonisten haben.
Außerdem gibt es ein altes Romanprojekt von mir, das als fertiger Rohentwurf auf meiner Festplatte liegt und das ich gerade stark überarbeite. Das ist eine eher ernste und dramatische historische Fantasy-Geschichte über Trauma, Depressionen, missbräuchliche Beziehungen; also eher schwere Kost. Und dann gibt es ja immer noch eine potenzielle Fortsetzung zu Plastikefeu. Mir wird also so schnell nicht langweilig!
Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast!
Falls euch das Interview neugierig gemacht hat, könnt ihr die Campagne auf Startnext zur Veröffentlichung des Romans in digitaler und physischer Form unterstützen. Der Link führt euch zur Seite.
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