Denn ich fresse nicht nur Jungfrauen!

Dienstag, 4. Februar 2025

Rezension: Unbestimmt von Lisa Dröttboom

© ASP Verlag, Grit Richter
Unbestimmt von Lisa Dröttboom fiel mir sofort wegen des in den enby Farben gehaltenen Covers auf, und obwohl die Prämisse nicht die ausgefallenste ist, war die Aussicht auf einen cozy Roman mit einer nonbinären Hauptperson genau das, was ich wollte. Es war auch genau das, was ich bekommen habe.

Vor wenigen Jahrzehnten stürzte das Raumschiff der Pan auf der Erde ab, welche daraufhin mit den Menschen koexistieren mussten. Die Pan haben die besondere Eigenschaft, dass sich ihre DNS ihrer Umgebung anpasst, und die heutige Generation der Pan lässt sich nicht mehr von den Menschen unterscheiden. Ihr einziges Unterscheidungsmerkmal ist lediglich, dass alle Pan ihr Geschlecht wechseln können, wie es ihnen beliebt. Um sich in die Gesellschaft der Menschen einzugliedern, haben sie jedoch zugestimmt, dass sie sich mit dem Erreichen des Erwachsenenalters auf ein Geschlecht festlegen. Gray hat nur noch wenige Wochen bis zum Apfelblütenfest, bei dem junge Pan ihr Geschlecht verkünden, und steht vor dem „Problem“, dass ser sich nicht entscheiden kann. In den Wochen vor dem Fest switcht ser so häufig, dass sich sogar gesundheitliche Probleme ergeben und ser nur noch wenige Male switchen darf. Die Wochen vergehen und Gray findet keine Antwort auf die Frage, was ser wählen soll.

Welches Geschlecht würdest du wählen, wenn du die Wahl hättest? Die Frage dominiert diesen cozy slive of life Roman. Ich bin so frei, die Antwort hier schon vorauszunehmen: Es ist keine Frage der Wahl, sondern des Seins. Grey ist nichtbinär und wählt dies nicht. Deswegen quält es ser auch so sehr, sich für ein binäres Geschlecht zu entscheiden, weil es einfach nicht Greys gelebter Natur entspricht.

Technisch gesehen ist dies ein Science Fiction Roman. Die Science Fiction begrenzt sich jedoch darauf, das die Autorin ein Volk brauchte, dass das Geschlecht wechseln kann, sowie eine Begründung, wieso die Pan auf der Erde gelandet sind. Gelegentlich gibt es noch kleinere technische Spielereien und kontextuelle Hinweise, die andeuten, dass der Roman Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts spielt. Viel eher ist dies ein slice of life Roman, der sich auf Selbstfindung und Coming Out fokussiert. Der Klappentext gibt sogar ein nettes Tortendiagramm an, das anzeigt, wie viel von den jeweiligen Themen Selbstfindung (etwa 80%), Zukunft und Romance (jeweils etwa 10%) enthalten sind. Ich finde das eine supercoole Idee! So lassen sich ganz leicht die zentralsten Tags der Geschichte erfassen, ohne dass zu viel vorausgenommen wird.

In Zeiten on extrem steigender Transfeindlichkeit, in denen uns unsere Lebensgrundlage systematisch entzogen wird und wir durch immer mehr Verbote an öffentlicher Teilhabe gehindert werden, ist es unglaublich wohltuend, diese coming out Geschichte zu lesen und Gray auf dem Weg zu begleiten und gemeinsam mit Grey die verwirrenden Welten von binärem Geschlecht zu erleben und zu navigieren und vor allem zu erleben, wie unterstützend Greys Umwelt ist und ser bedingungslos akzeptiert, wie ser ist. An keiner Stelle wird Greys Geschlecht hinterfragt und auch Greys Eltern drängen ihr Kind weder in die eine noch die andere Richtung, sondern betonen immer wieder, dass Grey die für ser richtige Entscheidung treffen wird, egal, wie diese ausfällt. Es ist Balsam für die Seele, glaubt mir.

Kniffliger wird es, sobald Grey das Reservat der Pan verlässt und nach Hamburg hineinfährt, um dort die Welt der Menschen zu erleben. Es gibt dort einige positive Momente, insbesondere, als Grey Kontakt zur queeren Jugend Hamburgs knüpft. Ser hilft allerdings auch an einer Schule aus, um die Kinder über die Pan aufzuklären, und dort kommt es direkt zum Anfang des Romans zu einigen sehr unangenehmen Fragen, insbesondere nach Greys Geschlechtsteilen und welches Klo ser nun benutzt. Ich hoffe, ich brauche nicht auszuführen, warum solche Fragen extrem grenzüberschreitend sind. Die Erklärung, es seien eben Kinder, zieht bei mir nicht. Auch aus Kindermund ist so etwas verletzend, und das wäre eine hervorragende Gelegenheit, die Kinder darüber aufzuklären, dass Geschlecht nicht binär ist.

An einigen Stellen wird nicht immer sauber gegendert. Da hätte ich mir ein sensitivity reading gewünscht, das von einer tatsächlich nichtbinären Person gemacht wird. (Sorry, Melanie, ich mag dich sehr, aber meine gelebte Erfahrung sagt, dass da nichtbinäre Menschen noch mal ein deutlich besseres Auge darauf haben.)

Eine weitere inhaltliche Kritik habe ich an der hinterweltlerischen Lebensweise der Pan. An einer Stelle wird Grey sogar gefragt, ob die Pan hinter dem Mond leben, und ser bejaht das. Ich teile diese akkurate Einschätzung. Die Pan haben Zugang zu moderner Technologie und nutzen diese auch, und das schließt soziale Netzwerke und Nachrichten ein. Junge Pan brauchen zwar eine Erlaubnis, um das Reservat zu verlassen, sind aber nicht grundsätzlich davon ausgeschlossen, und die Erwachsenen brauchen diese Erlaubnis nicht. Trotzdem ist Grey in Hinblick auf die Welt jenseits der Reservatsmauern unglaublich naiv. Dass ser nicht alles weiß, wenn ser mit einer anderen Kultur als der der Hamburger aufwächst, okay, sehe ich ein. Aber an manchen Stellen ist ser so unwissend, dass es mir unglaubwürdig erscheint.

Alles in allem ist Unbestimmt von Lisa Dröttboom ein cozy slize of life Roman über das Coming Out und die Selbstfindung. Geschlechtsdiversität wird hier ohne zu hinterfragen angenommen und für selbstverständlich gehalten. Allerdings hat der Weltenbau ein paar Lücken und das Sensitivity Reading hätte genauer sein müssen.

Potenzielle Trigger:

- cissexistische Sprache

- übergriffige Fragen

- Rassismus

- Binarität

 

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Reiheninformation

Autor*in: Lisa Dröttboom

Titel: Unbestimmt

Sprache: Deutsch

Umschlagsillustration: Grit Richter

Reihe: Nein

Seiten: 265

Originalpreis: 14€

Verlag: Art Skript Phantastik Verlag

Genre: Science-Fiction

ISBN: 978-3-949880-01-8

Erscheinungsjahr: 2023

 

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