Fantasy? Science-Fiction? Warum nicht beides zugleich? Mit „Grauwacht“
ist Robert Corvus die Fusion beider Subgenres der Phantastischen Literatur mit
Bravour gelungen. Er erzählt darin die Geschichte eines Planeten, der kurz vor
dem Abgrund steht – und niemand will die Augen für die Gefahr öffnen, bis es
beinahe zu spät ist.
Bisola ist eine zweigeteilte Welt. Die Rotation des Planeten
verläuft in Relation zu seiner Umlaufbahn um seine Sonne so langsam, dass eine
Umdrehung ein Menschenleben dauert. So liegt eine Seite von ihm über Jahre
hinweg im Licht der Sonne, die andere im Schatten. Die echsenhaften Sasseks
brauchen die Wärme, um überleben zu können, und schlossen daher einen Pakt mit
den Menschen, der diese verpflichtet, auf der eisigen Schattenseite des
Planeten zu leben. Die Grauwacht beaufsichtigt den Abzug der Menschheit, sobald
die Dämmerung heraufzieht, sodass die Sasseks das bald sonnige Land in Anspruch
nehmen können. Als jedoch eine zweite, blaue Sonne am Himmel auftaucht und die
Dämmerung kein Ende nimmt, zieht eine neue, bisher unbekannte Gefahr auf, die
nur von wenigen als solche erkannt wird.
Der Roman beleuchtet die Einzelschicksale einiger Menschen
und Sasseks exemplarisch für das Schicksal der gesamten Population. Der
Guardista Remon, der die Grauwacht entgegen ihrer Gesetze für seine Frau Nata
und ihre gemeinsame Tochter Enna verlassen hat, wird von seiner Vergangenheit
eingeholt. Vorena, ebenfalls eine Guardista, holt ihn in die Reihen der
Grauwacht zurück, um ihn wieder für den Dienst zu verpflichten. Nata, die
glaubt, ihren Mann nie wieder zu sehen, zieht mit ihrer Tochter aus der Wildnis
in eine der von Menschen gehaltenen Metropolen, wo sie mit dem Sassek Ssarronn Nachforschungen
zu dem blauen Licht anstellt, das zunächst nur die beiden Monde bedeckt und
bald auch zusammen mit einer zweiten Sonne auftritt.
Man braucht ein wenig, um sich in die Handlung und die Welt
einzufinden, das Glossar am Ende des Buches hilft jedoch dabei. Der Autor gibt
nicht immer für alles eine Erklärung, besonders dann, wenn die handelnden Personen
etwas für ganz selbstverständlich und alltäglich halten. Er geht jedoch
geschickt genug vor, sodass vieles aus dem Kontext heraus ersichtlich wird und
seine Leser nicht völlig ahnungslos belassen werden.
„Grauwacht“ besticht durch sein ausgefallenes Worldbuildung,
das zudem auch noch sehr gut durchdacht ist. Ein lang andauernder Wechsel von
Tag und Nacht und die damit einhergehenden klimatischen Bedingungen auf den
jeweiligen Seiten des Planeten leuchten immerhin wesentlich mehr ein als die
ungleichmäßigen Jahreszyklen auf Planetos. (Es sei denn, Martin gibt doch noch
irgendwann Hinweise darauf.)
Es kommt selten in einem Fantasyroman vor, dass der Autor
zur Erklärung besonderer Phänomene nicht Magie, sondern Wissenschaft heranzieht,
in diesem Fall Astronomie und, ja, auch hoch entwickelte Technologie. „Grauwacht“
ist mehr als „nur“ Fantasy, sondern vereint in sich sowohl Elemente dieses Genres
als auch der Science-Fiction. Mehr sei an dieser Stelle nicht gesagt, denn das
würde die mehr als gelungene Auflösung vorausnehmen.
Auch der Schreibstil des Autors besticht mit seiner
Variantenvielfallt. Corvus gelingt es, durch Erzähltempo und Diversität zusätzliche
Atmosphäre aufzubauen. Nur selten stechen zu verschachtelte Sätze oder die eine
oder andere Wortwiederholung heraus, fallen aber nicht weiter negativ auf.
„Grauwacht“ ist ein Roman, bei dem man sich wünscht, dass er
nie endet. Leider hat er nur 415 Seiten, die viel zu schnell vorbei sind, aber
zum Glück lässt der Autor seinen Lesern viel Spielraum für ihre eigenen
Gedankenspielchen. Die Lektüre ist also auch nach 415 Seiten noch nicht
wirklich vorbei, der Roman lässt einen nicht ohne weiteres los. Ist man einmal
auf Bisola festgefroren, will man auch nicht einfach so gehen. Und wer mag,
kann auch einen kleinen Mahnfinger in Richtung der Übertechnisierung und ihrer
womöglichen Folgen sehen.
Alles in allem ist dieser Roman eine unbedingte
Leseempfehlung!
Daten
Grauwacht: ISBN
978-3-492-26994-0, Piper, 2015, 12,99€
Hallo :)
AntwortenLöschenGrauwacht steht auf meiner Wunschliste. Das Buch klingt gut, bis jetzt sind die Meinungen die ich dazu gelesen habe sehr unterschiedlich. Da muss ich mir auf jeden Fall eine eigene Meinung bilden!
LG