Farina de Waard wird als eine Entdeckung
der Selfpublisher-Fantasy gefeiert. Mit dem „Vermächtnis der Wölfe“ wurde sie
bekannt und gewann 2015 den Indiebuchpreis der Leipziger Buchmesse, bei welchem
sie im Folgejahr selbst Juror gewesen war. „Jamil: Zerrissene Seele“ ist nun
der Auftakt einer neuen Reihe der jungen, aufstrebenden Autorin.
„Niemals hatte Jamil damit gerechnet,
dass seine Verlobung mit Lezana ein Inferno solchen Ausmaßes auslösen würde.“
So beginnt das Abenteuer Jamils, ältester Sohn des Rätors der Handelsstadt
Kas’Tiel. Denn die Stadt wird angegriffen und nur wenige können auf einem
Schiff entkommen. Darunter sind auch Jamils Eltern und sein Bruder Balor. Sie
stranden an einer fremden Küste, sind aber selbst dort nur Eindringlinge, die
das Land der Ureinwohner an sich reißen. Jamil glaubt, dass sie einen
friedlichen Neubeginn erleben dürfen, stattdessen wird er von Unbekannten
erschossen. Doch statt tot zu bleiben, nisten sich ein heilender Geist und ein
Dämon in seinem Körper ein, und retten ihm das Leben – nur, um zu bewirken,
dass Jamil sowohl von seinen eigenen Leuten als auch den Ureinwohnern als Dämon
verdammt wird.
Im Grunde klingt das nach einer
vielversprechenden Handlung, leider wird nicht viel daraus gemacht. Einen
Großteil der Handlung über liegt Jamil schwer verwundet da, während er von dem
Mädchen Ashanee, eine der Ureinwohner, beobachtet und umsorgt wird. Und
natürlich, wie soll es anders sein, verlieben die beiden sich ineinander. Wir
haben auch seit Romeo und Julia keine vergleichbare Liebesbeziehung erlebt.
Die unglaublich vorhersehbare
Liebesbeziehung ist nur ein Beispiel von vielen, die zeigen, dass die Handlung
wesentlich flacher ist, als sie klingt. Wer Jamil erschossen hat, war sehr
schnell ersichtlich, nachdem betont wurde, dass die Pfeile nicht von Ashanees
Volk stammen und Balor nicht gerade Freund mit seinem Bruder, ja, regelrecht
neidisch auf ihn war. Das ist wirklich schade, denn Potenzial lässt die Autorin
eigentlich erkennen!
Balor selbst ist wie viele andere
Charaktere sehr einseitig und schablonenhaft gestaltet. Er ist förmlich
besessen von seinem Hass auf seinen Bruder, was übrigens, weil hier das
Worldbulding fehlt, nie wirklich glaubhaft dargestellt wird. Jamil hingegen
nimmt es sehr bald heroisch hin, dass sowohl die Ureinwohner als auch seine
eigenen Leute ihn als Dämon sehen. Die einzige „Rache“, die er an ihnen übt,
ist, einmal des Nachts ein paar blutige Handabdrücke an den Türen zu
hinterlassen. Am Schluss rettet er sogar beide Parteien voreinander, obwohl das
einzige, was ihn an sie bindet, Ashanee ist, und er ihnen ansonsten nichts
schuldet, jenen Leuten, die ihn mit Vorurteilen behafteten, ihn verstießen und
misshandelten und sich nicht die Mühe machten zu überprüfen, ob er wirklich ein
Dämon ist.
Sowohl Handlung als auch Charaktere sind
so schablonenhaft, dass im Prinzip kein Überraschungseffekt aufkommt. Die Neuankömmlinge nehmen Land in Besitz, das
nicht ihres ist, und geraten damit mit den Ureinwohnern in Konflikt.
Gleichzeitig haben sie ein gemeinsames Feindbild: den Dämon Jamil, der nur von
Ashanee verstanden wird, die ihn eigentlich hätte ausspionieren sollen.
Immerhin geht das Buch in seiner Symbolik auf die gegenwärtige
Flüchtlingssituation soweit und sagt nicht, dass sich beide Partien gegen den
gemeinsamen Feind verbünden, was sehr idealistisch gewesen wäre.
Im Grunde hat das Buch eine sehr
aktuelle Thematik und vertritt ein paar gute Ansichten, was immer lobenswert
ist; es ist wichtig, dass ein Werk auch eine Aussage hat, um nicht völlig in
die Belanglosigkeit abzudriften. Ebenso wird es sicher Leser geben, die eine
Handlung wie diese mögen. Für mich war es jedoch eindeutig zu flach und die
Charaktere zu einseitig. Es wäre zum Beispiel wesentlich interessanter
geworden, hätte Jamil sich aggressiver und ablehnender gegenüber den
Ureinwohnern als auch seinen eigenen Leuten gezeigt. Gerade gegen letztere,
welche ihn ohne Wenn und Aber verstoßen haben, als ihre Seherin verkündete,
dass er ein Dämon geworden sei.
Die Flachheit drückt sich auch im Stil
aus. Er ist annehmbar, nichts, das sich unangenehm lesen lässt. Er ist aber
auch sehr gewöhnlich, manchmal mit Tendenzen zur Umgangssprache und ohnehin
überwiegend eher einfach.
Was tatsächlich sehr lobenswert ist, ist
der oben zitierte erste Satz des Buches. Üblicherweise geht man bei solch einer
Formulierung von einer gewissen Metaphorik aus und nicht davon, dass das
Inferno wörtlich gemeint ist. Das war in der Tat sehr überraschend und kreativ.
Leider muss auch das mit einem großen
Aber versehen werden, denn es hätte dem Buch sehr gut getan, die Genesung
Jamils einzukürzen und dafür zu einem früheren Zeitpunkt als dem Angriff auf
Kas‘Tiel in die Handlung einzusteigen. Die Stadt brennt, wenige können fliehen,
sie finden ein neues Heim, beginnen gerade, die ersten einfachen Hütten zu
bauen und schon wird Jamil erschossen, um dann für wohl die Hälfte des Buches
dahinzusiechen. Bevor er erschossen wird, ist einfach keine Luft für den Leser,
die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander kennenzulernen oder eine
Beziehung zu ihrer zerstörten Heimat aufzubauen. So nimmt es den Leser kaum
mit, dass sie alles verloren haben. Und gerade in Bezug auf Balors Motive wäre
es enorm wichtig gewesen, ihn näher kennen zu lernen, ehe Jamil erschossen
wird. Stattdessen wird all das erst im Nachhinein gegeben, das Schreibprinzip
„Show don’t tell“ also ungeschickterweise ins Gegenteil verkehrt.
Das Buch ist kein völliger Reinfall.
Gerade die Ansprüche an die Handlung und Charaktere sind ein sehr subjektiver
Aspekt. Wie bereits betont wurde, gibt es bestimmt Leser, die so etwas gern
lesen. Anspruchsvollere Leser werden allerdings wohl eher nicht in Lobeshymnen
aufgehen. Suchen sie seichte Literatur für zwischendurch, könnten auch sie darüber
nachdenken, zu „Jamil“ zu greifen. Das Buch ist annehmbar geschrieben und die
Handlung, wenn auch nicht sonderlich originell, nicht die langweiligste.
An dieser Stelle noch mal Danke an die
Autorin für die Widmung im Buch und das nette Gespräch auf der Messe!
Daten
Jamil: Zerrissene Seele: ISBN 978-3-945073-66-7,
Fanowa Verlag, 2016, 12,90€
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