Denn ich fresse nicht nur Jungfrauen!

Sonntag, 7. Mai 2023

Rezension: Not Your Type (Love is Queer #1) von Alicia Zett

Was bin ich hier lesend? Ohne Umschweife: Ist das ein Totalausfall in Form von verschwendetem Papier und Druckerschwärze? Ja. Ja, ist es. Ich habe „Not Your Type“ vor allem aus Recherchegründen gelesen, weil Romance normalerweise nicht mein Genre ist. Trotzdem war ich neugierig, immerhin geht es hier um einen transmaskulinen Protagonisten. Wir sind schon unsichtbar genug im Diskurs. Eigentlich schön, Menschen wie mich hin und wieder doch in der Literatur repräsentiert zu sehen. Umso schmerzhafter war dieser Schlag ins Gesicht in Form von 367 Seiten voller Unsensibilität.

Marie ist in ihrem Kommilitonen Fynn verliebt, kriegt es aber nicht auf die Reihe, ihn mal anzusprechen. Das muss erst ihr Kumpel Joon für sie übernehmen, der einige Wochen später Fynn anschleppt, als Maries Freundesgruppe auf einen Roadtripp nach Italien aufbrechen will. Warum Fynn so plötzlich aus seinem Schneckenhaus kommt, ist nicht ganz klar, denn eigentlich soll niemand wissen, dass er trans ist. So einer wie er kann nicht geliebt werden, denkt er. Zum Glück ist das cis Mädchen zur Stelle, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen!

„Not Your Type“ tritt so ziemlich in jedes Fettnäpfchen, das mensch sich nur denken kann. Es beginnt schon auf der allerersten Seite mit dem Deadnaming des Protagonisten. Auf der allerersten Seite! Ich fasse es nicht. Wer sich auch nur annähernd mit der Thematik befasst, weiß, dass deadnaming eine der trans Todsünden schlechthin ist. Und das gilt auch für fiktionale Charaktere!

So geht es fröhlich oder auch nicht wirklich fröhlich weiter. Immer wieder gibt es popkulturelle Anspielungen auf Harry Potter. Da der Roman 2021 rauskam, kann keiner behaupten, es sei nicht bekannt gewesen, was für eine widerliche Person Rowling ist in ihrer rechten Hetze gegen trans Menschen. Sie dann dennoch in einem Roman mit einem trans Protagonisten zu referieren, ist in besten Falle geschmacklos, aber eigentlich ist es nur ein fetter Schlag ins Gesicht.

Weiter geht es mit Traumaporn. Fynns Charakter besteht aus genau einer Eigenschaft: trans = leiden. Alles an seinem Dasein ist davon geprägt, wie furchtbar sein Leben ist und was er alles an traumatisierender Gewalt durch Eltern und Mitschüler erfuhr, was in bodenlosem Selbsthass mündet. Wenn ich es nicht absolut sicher besser wüsste, würde ich fast denken wollen, dass trans sein furchtbar schrecklich sein muss. Spoiler: Holy fuck, no! Trans sein ist geil! Alles hieran ist bullshit!

Ja, trans Personen erleiden ungemein viel mehr Gewalt, was in den letzten Jahren durch die negative Obsession der Presse, der Rechten und der Evangelikalen nur noch schlimmer wurde. Aber muss daraus so ein Traumaporn entstehen, in dem detailliert geschildert wird, was Fynn alles angetan worden ist? Fynns Charakter wird dadurch nicht einmal bereichert, weil er ohnehin nur aus genau einer Eigenschaft besteht: „Buhu, ich bin so schrecklich, weil ich trans bin, niemand wird mich lieben.“ Die internalisierte Transfeindlichkeit ist hier definitiv over 9000 und erreicht einfach nur extreme Level.

Und daraus wird dann eine furchtbar klischeehafte Geschichte gestrickt: cis Person rettet trans Person durch ihre Liebe aus der Misere. Trans Personen müssen nicht gerettet werden, schon gar nicht durch die Liebe einer cis Person! Was wir brauchen, ist ein fucking riot, um das cistem niederzuwerfen!

Dieser Roman wurde von einer cis Person ohne jegliche Recherche für andere cis Personen geschrieben, damit die sich den Bauch pinseln können, was für tolle „Allies“ sie sind, weil sie ja zeigen, dass „sogar trans Personen“ geliebt werden können. No shit, Sherlock. Natürlich können wir geliebt werden, wir sind genauso Menschen wie alle anderen, keine komischen Aliens mit abstoßenden Körpern oder was auch immer hier dargestellt werden soll.

Da erscheint es fast schon nebensächlich, dass Fynns Gründe, auf diesen Roadtrip zu gehen, extrem konstruiert wirken, weil die Autorin irgendeinen Grund brauchte, ihn und Marie zu verkuppeln. Fynn hat stake Sozialängste und verlässt so gut wie nie seine Wohnung. Und dann soll er plötzlich zustimmen, mit Wildfremden auf eine Reise zu gehen? Selbst ich würde das nicht machen, und ich habe meine Sozialphobie wesentlich besser im Griff als Fynn.

Fynn wird übrigens fremdgeoutet, aber an diesem Punkt schockiert mich kaum noch etwas. Natürlich muss er auch noch diese Form von Gewalt erleben. Wir wollen ja möglichst alle transfeindlichen Narrative zwischen zwei Buchdeckel quetschen und dann so tun, als sei alles ok, nur weil Prota-chan selbst auf den Trichter kommt, dass sie da vielleicht gerade gewaltige Scheiße gebaut hat.

Erwähnte ich schon anti-asiatische Narrative? Nein? Natürlich müssen wir diesen Totalausfall mit Rassismus würzen. Joon ist der dicke Asiate, der immer nur am Essen ist oder Fotos macht und sich auch sonst nur über K-Pop definiert. Mehr Tiefe hat sein Charakter nicht. Aber heeey, wir sind doch soooo inklusiv, weil Fynn selbst merkt, dass er über Joon rassistisch denkt. Dann reproduziere doch nicht auch noch Rassismus! Das ist ein Buch! Da hätten solche rassistischen Gedanken gar nicht erst ausformuliert werden müssen!

„Not Your Type“ ist reine Papier- und Zeitverschwendung, bei der sich ein paar cis Leute dafür hatten feiern lassen wollen, wie „progressiv“ sie sind, ohne sich auch nur auf 5 Meilen jemals einer trans Person genähert zu haben. Mit dem Thema jedenfalls wurde sich nicht ansatzweise auseinandergesetzt oder sich auch nur Gedanken gemacht, wie es sensibel zu behandeln sei. Allenfalls ist das hier ein Beispiel, wie es NICHT zu machen ist. Die Charaktere sind ebenfalls eindimensional und die Story wenig originell. Der Roman wollte sich mit einem Regenbogen, da queere Charaktere, schmücken und das war das Vermarktungsargument. Mehr Tiefe gibt es hier nicht. Diese Gewässer erreichen nicht einmal meine Knöchel, so flach ist alles hieran.

Potenzielle Trigger:

- Internalisierte Transfeindlichkeit

- Transfeindlichkeit und transfeindliche Übergriffe

- Unsicheres Binding (Fynn trägt den Binder über mehrere Tage hinweg deutlich länger als 8h)

- Rassismus

- Psychische Probleme, Sozialphobie

- Mobbing

- Fremdouting

 Transfeindliche Narrative

- Harry Potter

 

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Reiheninformation

Autor*in: Alicia Zett

Titel: Not Your Type

Sprache: Deutsch

Umschlagsgestaltung: Nicole Pfeiffer

Reihe: Band 1

Seiten: 367

Originalpreis: 12,99€

Verlag: Droemer Knaur

Genre: Romance

ISBN: 978-3-426-52677-4

 

Fals euch meine Arbeit gefällt, würde ich mich über einen kleinen Obolus bei BMC freuen :)

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