Erwartungen sind alles bei „Königin im Exil“ (Original
Dangerous Women), herausgegeben von George R.R. Martin und Gardner Dozois.
Versprochen werden im Vorwort von Dozois Powerfrauen und Amazonen und keine
zarten Prinzessinnen und schmachtende Hausfrauen. Hier erschlägt die Prinzessin
selbst den Drachen und zeigt dem Prinzen, wer hier die Hosen anhat. Die
üblichen Genderklischees der schwachen Frau, die sich bereitwillig von ihrer
großen Liebe unterbuttern lässt, sollen hier nicht bedient werden.
„Königin im Exil“ ist eine Anthologie mit insgesamt 21
Kurzgeschichten und Novellen quer durch alle Genres. Belletristik, Historik,
Mystery, Fantasy, Science-Fiction. Es finden sich hier viele bekannte Namen wie
Brandon Sanderson, Diana Gabaldon und Joe Abercrombie. Die meisten von ihnen
brachten Kurzgeschichten in den Universen ihrer bekannten und erfolgreichen
Reihen heraus, so auch Martin, welcher eine weitere Geschichte aus Westeros
abliefert, Sanderson mit einem Text aus dem Cosmere und Gabaldon mit der Vorgeschichte
ihrer Highlander-Saga.
Gardner Dozois hat keinen Text in dem Werk, schrieb dafür
aber das Vorwort und stellt vor jeder Kurzgeschichte den Autoren vor. Im
Vorwort werden die Autoren in höchsten Tönen gelobt und hohe Erwartungen
stellen sich alsbald ein. Alle Werke seien von Weltklasse, das Ungewöhnliche,
das noch nie Dagewesene sei zu erwarten, Frauen die austeilen können und ihre
männlichen Bundesgenossen dagegen alt aussehen lassen.
Die meisten der Texte sind für sich genommen gar nicht so
übel. Es gibt teils deutliche Ausrutscher sowohl nach oben als auch nach unten,
wie es bei einer Anthologie zu erwarten ist. Die breite Masse ist jedoch eher
mittelmäßig. Annehmbar also, nett für ein bisschen Unterhaltung zwischendurch.
Betrachtet man viele dieser Texte genauer und stellt sie vor allem in den
Kontext der Anthologie, gefährliche Frauen, dann sieht die Sache schon anders
aus.
Erwartungsgemäß war Brandon Sandersons Werk „Schatten für
Stille in den Waldungen der Hölle“ herausragend. Allein der Titel ist ein
Kunstwerk für sich! Er trifft den Inhalt des Textes exakt und ist doch so
außergewöhnlich, dass schon allein das neugierig macht, was er damit wohl
ausdrücken will.
Auch Diana Gabaldons Text „Unschuldsengel“ hatte Konsistenz,
wenn auch mit einigen kleinen stilistischen Schnitzern, die allerdings bei
weitem nicht so sehr ins Gewicht fielen wie bei manch anderem Text.
Eine kleine angenehme Neuentdeckung war „Nachbarn“ von Megan
Lindholm, ein Text, der am ehesten noch der Mystery zuzuordnen ist. Die schon
etwas reifere Dame Sarah macht sich Sorgen um ihre spurlos verschwundene
Nachbarin. Diese wird nie gefunden und schon bald hat die amerikanische
Kleinstadt den Fall auch vergessen. Nur Sarah lässt es keine Ruhe.
Währenddessen macht sich ihr Sohn Sorgen um sie, dass sie zu alt wird, ihr Haus
alleine zu bewirtschaften, und beginnt nach einem geeigneten Altersheim für
seine Mutter zu suchen. Dieser gleitet ihr Leben immer mehr aus den Händen, als
sie entdeckt, dass der Nebel, der manchmal vor ihrem Haus aufzieht, anscheinend
ein Fenster zu einer anderen Welt ist.
Manche der Texte hatten die Eigenschaft, durchaus
interessant zu sein, wenn auch nicht im Sinne der Anthologie. Der
Science-Fiction-Text „Die Hände, die nicht da sind“ von Melinda Snodgrass ist
so ein Fall. In diesem geht es um einen hochrangigen Beamten, der von einer
Dame erst verführt und dann entführt wurde. In dieser Entführung wurde er in
ein künstliches Koma versetzt und erhielt dann unfreiwillig ein völlig anderes
Aussehen. Jemand anderes nahm seinen Platz in der Politik ein. All das erfolgte
so täuschend echt, dass niemand den Wechsel bemerkte. Er zieht nun durch die
Galaxis und erzählt allen seine Geschichte, doch anscheinend glaubt niemand
ihm. Die in der Tat gefährliche Frau, die den Herrn verführte und den
Doppelgänger einschleuste, wird dabei eher flach und uninteressant gezeichnet.
Viel mehr reizt es zu erfahren, was aus dem politischen Komplott geworden wäre.
Das war nebst Sandersons Geschichte der einzige Text, wo ich mir gewünscht
hätte, mehr zu erfahren, während alle anderen zumeist in sich geschlossen
waren.
Und dann gibt es noch die Machwerke, bei denen man das Buch
am liebsten verbrannt hätte. „Ringen mit Jesus“ von Joe R. Lansdale war solch
ein Werk. Die Handlung: Zwei gut achtzigjährige Ringer kämpfen seit Jahr und
Tag um ein und dieselbe angeblich bildhübsche Frau. Ebenjene ist, gelinde
gesagt, eine oberflächliche Nutte, die nur mit demjenigen ins Bett geht, der
den Kampf gewinnt. Dabei wird mit unflätigen Schimpfwörtern und grausamen
Metaphern leider nicht gegeizt. Von einer gefährlichen Frau ist hier weit und
breit nichts zu sehen.
Das gleiche in „Ich weiß, wie man sie rauspickt“ von
Lawerence Block. Handlung: Mann reißt Frau in der Bar auf, legt sie flach und
ermordet sie am Ende. Tatsächlich: Mehr umspannt die Handlung nicht. Es handelt
sich hier mehr oder weniger um einen Porno, der durch gelegentliche Rückblenden
unterbrochen wird. In diesen Rückblenden klagt die Dame abwechselnd darüber,
dass ihre Ehe unglücklich sei, und ihr Lover denkt über seine Vergangenheit
nach. In der sich alles um Sex zu drehen scheint. Er bietet ihr im Laufe des
Abends an, ihren Mann für sie zu ermorden, sodass sie beide glücklich
miteinander zusammen sein können. Das Ende ist, wie gesagt, ihr Tod, der ihn
augenscheinlich äußerst erregt. Mit einer gefährlichen Frau ist hier absolut
nichts.
Darüber hinaus gibt es noch einige Texte, die mit diversen
Stilschnitzern daher kommen. Der titelgebende Text von Sharon Kay Penman hat am
Ende sogar eine Anmerkung der Autorin, in der sie erklären muss, warum ihre
Protagonistin eine gefährliche Frau ist, und dabei nicht einmal sonderlich
überzeugend argumentiert. Der Text selbst ist eine lose Aneinanderreihung von
Ereignissen, die in keinem wirklichen Zusammenhang stehen.
Alles in allem ist das Lesegefühl eher durchwachsen. Man
wird seine Lieblinge haben, aber auch seine hassenswerten Exemplare. Dennoch
wird für viele mehr als nur ein lesenswerter Text dabei sein. Für Fans der in
diesem Werk erschienen Autoren ist es also eine Überlegung wert. Notfalls kann
man die schlechten Texte immer noch überblättern und hat nichts verpasst.
Daten
Wie fandest du denn Abercrombies Beitrag? Ich habe in der First Law-Trilogie nicht unbedingt den Eindruck bekommen, dass er Frauencharakteren besondere Aufmerksamkeit schenkt und war erstaunt, dass er hier dabei ist.
AntwortenLöschenAnsonsten hab ich ja schon ein paar Mal mit der Anthologie geliebäugelt, allerdings hauptsächlich wegen Martin und Sanderson.
Lg
schreibratte
.... Joar .....
LöschenWill heißen: Es war nicht direkt schlecht, aber vom Hocker gerissen hat's mich nun auch nicht.
Wenn du nur auf bestimmte Autoren aus bist, kannst du schauen, ob's die Texte auch einzeln gibt oder es absehbar in Planung ist. Shadows for Silence in the Forests of Hell von Sanderson gibt es ja auch als Kindle EBook für einen Apfel und ein Ei auf Amazon.
Ansonsten, wie ich es schrieb: Die Texte, die einem nicht gefielen, kann man überblättern, ansonsten sind auch ein paar Nette dabei.
Grüße