Höher, schneller,
weiter. Das sagt man nicht nur bei den Olympischen Spielen. Mittlerweile habe
ich den Eindruck gewonnen (und da bin ich sicher nicht allein), dass das seit
langem immer stärker das Motto unserer sich immer rascher entwickelnden Leistungsgesellschaft
ist. Das geht natürlich auch nicht an der Literatur vorbei. Schon vor einiger Zeit schrieb ich darüber, dass mir der Einheitsbrei in den Regalen
einschlägiger Buchhandlungen auf den Keks geht und Innovation, etwas Neues auf
inhaltlicher Ebene doch wünschenswert wäre. Tatsächlich ist das sogar der Fall,
auch auf formaler Ebene. Besonders in der Lyrik, aber auch Dramatik und Epik
wird stets versucht, etwas Neues zu finden. Prosagedichte sind da bei weitem
nicht mehr der neueste Schrei.
Aber muss es immer neu
sein? Muss das auch immer zwangsläufig besser heißen? Oder sollten wie
vielleicht manchmal doch beim Altbewährten bleiben? Ist vielleicht der Schritt
hin zum Altbewährten das Neue und Bessere?
Ich möchte hier ein
paar Fragen ganz ungezwungen in den Raum werfen, sie auch einmal unbeantwortet
lassen und mir dazu ein paar Gedanken machen.
Die Germanisten und
auch Literaturwissenschaftler anderer Sprachen sind ganz versessen darauf,
alles in Kategorien und Schubladen zu stecken. Das ist nicht immer ganz leicht,
besonders, wenn es in die Mediävistik geht, aber auch dann, wenn sich die
Literaten, deren Werke die Wissenschaft so gern fein säuberlich kategorisiert
sieht, hinstellen und sich etwas total Verrücktes ausdenken. Was dann? Dann
wird herumgeeiert und schwadroniert, dass ein Prosagedicht ja doch eigentlich
schon irgendwie eventuell Elemente der Lyrik hat, strukturell aber doch näher
an der Prosa stünde, also doch eher Prosa sei, aber eben mit lyrischen
Elementen. Na, was denn nun? Ich höre meine Dozenten oft mit einem zwinkernden
Auge sagen, dass das ja ihr großes Leid sei, wenn sich die Literaten wieder
einmal etwas völlig Verrücktes ausgedacht haben, das es nun in die beste
Schublade zu stopfen gilt.
Das Thema, dass es
anscheinend so ein Trend sei, sich immer neue, verrückte Dinge auszudenken, kam
neulich im meinem Kurs für Kreatives Schreiben auf. Wir sprachen dort kurz an,
dass es in jüngerer Zeit eine Lyrikerin gab, deren Name mir leider entfallen
ist, die ein Gedicht schrieb, in dem sie Wörter aneinanderreihte, deren Anfangsbuchstaben
in der Reihenfolge der Buchstaben des Alphabets standen. So etwas wird dann im
Feuilleton mitunter total abgefeiert. Das ist neu! Das ist innovativ! Jung!
Dynamisch!
Die Kommilitonin, die
das ansprach, wirkte nicht allzu begeistert von diesem allgemeinen Trend, und
auch mich brachte das dazu, mal ein wenig über dieses Thema nachzudenken.
Unsere Dozentin sprach allerdings auch nicht ganz zu Unrecht an, dass das ja
eigentlich gar kein so neuer Trend sei. Seit der Aufklärung um 1750 (die
magische Zahl der Germanistik) gab es immer wieder Gegenströmungen zu den
gegenwärtigen, teils auch akademischen Ansichten, wie denn nun Literatur
auszusehen hätte. Erst kam die rationale Aufklärung, dann wollten einige
plötzlich wieder empfindsamer werden. Das war dann zu ruhig, also wollten sie
stürmen und drängen. Dann gab es eine Rückbesinnung auf die alten Klassiker der
Antike, dann war das aber auch wieder out und man sprach lieber von der
Genieästhetik der Gegenwartsliteraten. Dann hieß es »Revolution!«, das war dann
aber schon wieder einigen zu stürmerisch und drängerisch, also zog man sich in
die eigenen vier Wände zurück. Na ja, und so weiter. You got the point.
Auch heute und
wahrscheinlich heute mehr denn je ist die Literatur ungemein heterogen. Auf der
einen Seite heißt es »Der neue Tolkien!«, der dann eh nur wieder ein billiger
Abguss des Herrn der Ringe ist (und nein, ich will kein Serien Reboot dessen,
aber das ist ein anderes Thema), und auf der anderen Seite wird »Relax« von
Alexa Hennig von Lange als ein »Roman wie ein Film« angepriesen mit seinem
stream of conciousness in Reinkultur und im höchsten Maße dialogischen Stil
(ich mochte den Roman übrigens gar nicht, das auch am Rande).
Heißt das also, dass
darüber nun auch Uneinigkeit herrscht? Wollen wir was total Neues und
Verrücktes, das im Feuilleton abgefeiert wird? Oder wollen wir nun doch lieber
das Publikumswirksame und Altbekannte, das sich seit Jahren am Markt bewährt?
Es drängt sich einem der Eindruck auf, dass das anscheinend stark von der Zielgruppe
abhängt. Die einen mögen das Neue, die anderen das Alte.
Und wo stehe ich nun
da? Zu einen, das machte ich bereits letzten Dezember klar, will ich keinen
x-ten Aufguss des Herrn der Ringe, der eh nur nach billigem Beuteltee statt
qualitativem Blatttee schmeckt. Auf der anderen Seite werde ich mit formalen
Abweichungen von dem, was ich gewohnt bin, einfach nicht warm; Relax war
deswegen für mich einfach kein Roman gewesen, den ich gern gelesen hatte. Also
was nun? Inhaltlich bloß was Neues, aber formal auf gar keinen Fall? Ja und
doch nein? Entscheide dich doch bitte?
Ist es denn wirklich
so schlecht, inhaltlich Altbekanntes noch einmal neu aufzugießen? Wenn es, um
mal wieder bei den Essensvergleichen zu bleiben, qualitativer Blatttee aus
Japan ist, nicht unbedingt. Billiger Abklatsch kann jeder, übriggebliebene
Krümel in ein Filtersieb packen, aber aus dem Gegebenen etwas Neues zu machen
oder einfach etwas Anderes, drauf kommt es doch an. Darauf und auf die Art der
Umsetzung.
Die Wissenschaft tut
sich schwer, die Gegenwartsliteratur in eine Epochenschublade zu stecken und den
Finger auf ihre Merkmale zu legen. Mit Sicherheit liegt das auch daran, dass
wir gerade einfach mittendrin stecken und versuchen, aus dem Inneren einen
Blick von außen drauf zu erhaschen. Es wird sich wohl einfach in Zukunft
zeigen, was sich denn nun durchsetzt: Der Trend zum immer Neuen oder der Trend,
keinen Trend zu haben und beim Alten zu bleiben.
Vielleicht habt ihr ja
ein paar eigene Ideen zu dem Thema? Wie steht ihr zu inhaltlichen und formalen
Novitäten und Experimenten?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Die Kommentarfunktion auf dem Blog ist abgestellt, um Spam zu vermeiden, aber auch, weil ich all der relativierenden "Ja, aber ...!"-Kommentare müde wurde, die sich mehr und mehr häuften, besonders bei Posts, die keine reinen Rezensionen waren. Ihr könnt mich immer noch über Twitter erreichen.
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.