Marlen Haushofers Robinson Crusoe ist weiblich. In „Die
Wand“ beschreibt sie die beeindruckende Geschichte einer namenlosen Frau, die
auf einem Jagdausflug plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten wird. Über
Nacht taucht eine unsichtbare Wand auf, die ihr Tal von der Außenwelt trennt.
Alles Leben jenseits der Wand ist tot. Nur ihr Hund Luchs, eine Katze und eine
Kuh überdauern mit ihr die unfreiwillige Isolation. Der Wille, für ihre Tiere
da zu sein, hält die Frau am Leben und lässt sie in der Einsamkeit große Mühen
auf sich nehmen.
„Die Wand“ ist ein Roman von bedrückender Schlichtheit,
Stille und Schönheit. Um nicht völlig zu verrohen, beginnt die Frau, ihren
Bericht zu schreiben und erzählt darin von ihrem Leben in der Isolation sowie
von ihren tiefsten Ängsten und Sorgen. Sie schreibt um des Schreibens willen
und um sich das Menschsein noch ein wenig länger zu bewahren.
Die Wand ist dabei ein unauffälliger aber steter und auch
ein wenig furchteinflößender Begleiter. Sie taucht eines Nachts auf und ist
fortan der Status quo. Es wird keine Erklärung geliefert, was die Wand
eigentlich ist, woher sie kommt oder ob sie eines Tages wieder verschwinden
wird und ob das Leben auf der anderen Seite wirklich restlos tot ist. Es ist
aber auch gut, dass diese Fragen offen bleiben, denn für das Überleben der Frau
spielen sie, solange sie ihre Tiere hat, keine Rolle und sie als Gefangene der
Wand ist auch gar nicht in der Lage, eine Antwort zu finden.
Der Stil ist hin und wieder durchsetzt von etwas aus der
Mode gekommenen Wörtern, was aber ganz gut passt. Gleichzeitig berichtet die
Frau sehr nüchtern von ihren Erlebnissen und Gedanken, was neben der reinen
Vorstellung ihrer ungeheuerlichen Situation zusätzlich dafür sorgt, dass die
Erzählung den Leser aufwühlt und in seinem Inneresten berührt. Immer wieder ist
ihre Geschichte vom Tod ihrer geliebten Tiere begleitet. Nach und nach sterben
die Jungen ihrer Katze, auch Luchs, ihr treuester Begleiter in der Einsamkeit,
wird eines Tages nicht mehr sein, und wenn Bella, die Kuh, keine Milch mehr
geben kann, wird es auch mit der Frau aus sein.
Auf der anderen Seite zeigt sich die Frau stark. In der
Sorge um ihre Tiere lässt sie sich nicht von ihrer Verzweiflung übermannen,
auch wenn sie schreibt, dass der Drang zum Nachgeben immer wieder stark ist.
Man hofft für sie, dass es ein gutes Ende nehmen wird, und weiß doch, dass dem
nicht sein kann.
Das Szenario wirkt auf einen von der Zivilisation verwöhnten
Menschen mitunter befremdlich und angsteinflößend. Die namenlose Frau sagt
selbst, wenn sie auf ihr altes Leben zurückblickt, dass sie sich nicht mehr mit
jener Frau identifizieren kann, die sie einst gewesen war. Sie ist jetzt frei
von jeglichen gesellschaftlichen Zwängen und ganz für sich selbst
verantwortlich. In gewisser Weise macht sie das freier, als es jeder von uns
jemals sein kann.
Man mag dies durchaus als harsche Gesellschaftskritik der
Autorin lesen. Auf alle Fälle aber lässt der Roman einen innehalten und über
das nachdenken, was man hat. Sind die Vorzüge der Zivilisation wirklich Vorzüge
oder entfremden sie uns zu sehr von unseren Wurzeln in der Natur? „Die Wand“
ist keine leichte Kost, sondern arbeitet im Leser. Und das ist gut so.
Daten
Die Wand: ISBN
978-3-548-60571-5, List Taschenbuch, 2007, 8,95€
Weitere Rezensionen
- Weltenwanderer
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