Es war mehr oder
weniger eine spontane Idee: endlich mal eine wirklich regelmäßige
Rezensionsreihe, die über »ich lese gerade das und das und das denke ich dazu
in drei Sätzen« hinausgeht. Eigentlich hätte mein GoT Rewatch auch so etwas
werden sollen, aber das erwies sich leider als zu zeitintensiv, um es wirklich
(fast) täglich zu schreiben. Leseproben hingegen sind klein, bieten einen
möglichst optimalen Einblick in das Werk und ich kann sie meist bequem auf mein
Handy laden und auch unterwegs lesen. Ergo eigentlich gute Bedingungen. Also
will ich es nun damit probieren.
Jeden Freitag wird es
eine »Freitagsprobe« geben, also eine kleine Rezension einer Leseprobe, die ich
irgendwo ausgebuddelt habe. Genremäßig will ich mich da zunächst nicht
festlegen und einfach querbeet lesen, was mir so vor die Flinte kommt. Ich habe
sogar ein wenig vorgearbeitet und bereits eine recht beachtliche Liste
erstellt. Dennoch bin ich natürlich gern für Vorschläge offen!
Quelle und ©: Verlag |
Sie kontrolliert die Schatten.
Sie sieht im Dunkeln.
Dass Melanie ein Tigermädchen ist, weiß sie noch nicht, als
sie ins Camp Cataara eintritt. Zeit, sich einzuleben, wird ihr verweigert. Denn
obwohl sie selbst ihre Gaben noch nicht vollständig beherrscht, trachten
gegnerische Gruppierungen bereits nach ihr und ihrer Macht. Schon bald wird
ihre Freundin Laura entführt und die Gegner fordern einen Tauschhandel – Laura
gegen das Tigermädchen. Melanie und ihre Freunde wollen den Handel der
Entführer jedoch nicht eingehen und suchen eine andere Möglichkeit, Laura zu
retten. Nur auf einen vagen Verdacht hin verfolgen sie die Spur der Gegner,
obwohl diese sich immer wieder zu verlieren scheint. Doch nicht nur ihre
Informationsquellen wirken wenig vertrauensvoll, auch die neun Jugendlichen
selbst haben Geheimnisse voreinander …
Wird Melanie es schaffen, Laura zu finden, ohne sich selbst
auszuliefern?
[Quelle: Klappentext, Verlag]
Wirklich positiv überrascht war ich nicht. Ehrlich gesagt habe ich zunächst für die Freitagsproben wahllos eine Auswahl getroffen und ebenso wahllos mit diesem Text hier begonnen. Den Klappentext habe ich sogar erst gelesen, als ich mit der Leseprobe durch war. Und um ehrlich zu sein, überraschte er mich nicht. Hätte ich ihn zuerst gelesen, ich hätte mich wohl kaum mehr über den Inhalt gewundert.
Denn: Wann in drei Teufels Namen wurden rhetorische, sich
selbst beantwortende Fragen in Klappentexten hipp und modern? Üblicherweise
können sie mit Ja beantwortet werden, womit sich die Lektüre des gesamten
Buches erübrigt, denn ebenso üblicherweise gehen sie mit ein und demselben
Typus Geschichte einher: eine üble Mary Sue und platte Teenagerstories.
Mildernde Umstände können beim Buchtrailer angebracht
werden, dass das anscheinend noch vor der Zeit beim Verlag entstanden war. Es
ist dennoch gruselig. Aus dem Internet stibitze Bilder (die zumindest laut
Videobeschreibung cc license haben), wahrscheinlich nicht lizensfreie Musik,
weiße Schrift auf hellem Hintergrund und die Story in wenigen uninteressanten
Schlagworten zusammengefasst. Ja, ich habe gewisse Vorbehalte gegen
Buchtrailer. Hier werde ich nur wieder darin bekräftigt.
Stilistisch kann die Leseprobe nicht bestehen. Gleich im
Prolog wird der Leser mit Wortwiederholungen zugeschmissen. In quasi jedem Satz
wird betont, dass das Mädchen schwarze oder dunkle Kleidung trägt. In nahezu
jedem Satz, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Gruftiger sind
selbst Gothics nicht, und ich spreche da aus Erfahrung. Als Einstieg in das
erste Kapitel »Es war Nacht« zu lesen, macht die Sache leider nicht besser.
Außerdem wurden Kardinalzahlen unter dreizehn nicht ausgeschrieben. Die Syntax
selbst ist ausgesprochen schlicht, die Wortwahl ebenso. Und wenn das nicht der
Fall ist, dann finden sich unnötig komplizierte Formulierungen. So zum Beispiel
diese hier:
»Melanie machte sich so klein wie möglich. In ihrer Schule
wurden alle, die pinke Augen hatten, heruntergemacht. Und da das genau genommen
nur Melanie betraf, war sie das Opfer.«
Sie als das Mobbingopfer zu bezeichnen, ginge auch
wesentlich eleganter. Gleichzeitig nagelt dieser Absatz ein weiteres Problem
der Leseprobe fest: Melanie ist eine Mary Sue. 1.) Sie hat besondere Kräfte;
noch in der Leseprobe wird etabliert, dass Tigermädchen wie sie selbst unter
den Cataara etwas Besonderes sind. 2.) Sie hat ein ach so besonderes Aussehen
mit ihren pinken Augen, der pinken Strähne, die sich nicht färben lässt, und
dem Grufti-Außenseiter-Look. 3.) Sie ist das Mobbingopfer und hat zudem Eltern,
die kaum da sind. Ich kann das ganze nur noch mit einem genervten Seufzen
kommentieren und mich fragen, wie so etwas noch immer seinen Weg in die Verlage
findet. Wurde es nicht bereits im Internet breit genug getrampelt, dass Mary Sues
Ausgeburten der Literatenhölle sind?
Hinzu kommt die breite Klischeekeule, die dem Leser mit
Anlauf und möglichst schmerzhaft ins Gesicht geschmettert wird. Wer sie sei,
wird sie gefragt. Daraufhin antwortet sie mit möglichst viel Pathos und unangebrachter
Coolness, dass sie die sein Untergang sei, oder er sie auch wie in den
Zeitungen nennen könne: dunkle Retterin. Hahah, wie absolut unlustig! Das
einzige, das ich da noch denke, ist das: »Nanananana, BATMAN!« So wirklich
klar, wo das spielt, wird es in der Leseprobe nicht, aber irgendwie drängt sich
mir Gotham City auf …
Des Weiteren lassen sich schon in der Leseprobe schwere Logiklücken
ausmachen. Unter anderem ist Melanie bemüht, sich unauffällig zu verhalten.
Gleichzeitig unternimmt sie aber nichts gegen ihr sonderbares Aussehen.
Kontaktlinsen, Kopfbedeckung oder sonstiges wird nicht in Betracht gezogen.
Wäre wenigstens etabliert worden, dass sie sich nicht verstecken und verstellen
will und dafür das Mobbing in Kauf nimmt: ok. Aber das ist nicht der Fall. Sie
jammert … und das war‘s.
Ebenso wird sie von einem Jungen bedroht und zu einer Prügelei
herausgefordert. Sie schlägt ihn mühelos zusammen. Zu diesem Zeitpunkt kann der
Leser nichts anderes denken, als dass ihre Kampffähigkeiten von ihrer Natur als
Tigermädchen herrühren. Das steht im Widerspruch zu ihrem Bestreben,
unauffällig und normal zu sein. Zu spät und deus ex machina gleich wird zwar
etabliert, dass sie Kampfsporttraining nimmt, aber zu diesem Zeitpunkt kann das
nur den Schluss zulassen, dass das hier alles Hohlbirnen sind, Prota-chan
ebenso wie alle anderen Charaktere, die eins und eins nicht zusammenzählen
können und nicht auf den Trichter kommen, dass Melanie die geheimnisvolle Retterin
ist, die regelmäßig in den Schlagzeilen der Stadt ist.
Wenig später kommt es zu einer weiteren Schlägerei mit einer
ganzen Gruppe von Schlägern, die Melanie mühelos niederwalzt. Wenn ich eines
aus über 600 Spielstunden Skyrim gelernt habe, dann, dass das Spiel ab Level 80
irgendwie langweilig wird, wenn Dovahkiin selbst Drachenpriester mit einem
einzigen Pfeilschuss plättet, da er so mächtig ist. Das gleiche gilt für
Romancharaktere. Und da kann man noch nicht mal selbst die Gegner verprügeln.
Eine Leseprobe soll einen möglichst positiven Eindruck vom
zu erwartenden Roman vermitteln, und neugierig machen. Wenn das das Beste ist,
das dieser Roman liefern kann, spare ich mir ehrlich gesagt lieber das Geld und
den Platz in meinen Regalen. Und neugierig bin ich erst recht nicht, weil alles
daran nach generischer Jugendfantasy schreit, wie es sie viel zu oft gibt.
Hinweis: Die von mir gelesene Leseprobe stammt noch aus der Zeit vor dem Verlag. Das dürfte zumindest die Stilschnitzer teils erklären, hätten der Autorin aber dennoch auffallen können. Momentan kann man sich noch über Amazon eine Leseprobe der verlegten Ausgabe ansehen.
Nachtrag 11.2.17: Die Autorin hat die von mir gelesene Leseprobe mittlerweile aus dem Netz genommen und ich habe einen Blick in die Leseprobe auf Amazon geworfen. Stichprobenartig habe ich mir dabei die Stellen mit den gröbsten Stilschnitzern angeschaut (die exorbitant häufigen Wortwiederholungen und »Es war Nacht.«) und stellte fest, dass nichts davon in der lektorierten Verlagsausgabe beseitigt wurde. Schade.
Autor: Delia Muñoz
Titel: Tigermädchen – Die Nacht ist ihr Element
Original: Tigermädchen – Die Nacht ist ihr Element
Sprache: Deutsch
Reihe: Band 1
Seiten: 528
Originalpreis: 14,90€
Verlag: Eisermann Verlag
Genre: Fantasy
ISBN: 978-3-946342-87-8
Erscheinungsjahr: 2016
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