Denn ich fresse nicht nur Jungfrauen!

Samstag, 1. Oktober 2016

Rezension: Alcatraz 1-5 von Brandon Sanderson [spoilerfrei]

Brandon Sanderson ist vor allem für seine epischen Werke wie The Last Empire oder Stormlight bekannt – episch nicht nur im Inhalt sondern auch im Umfang. Da man sich als Autor zwischenzeitlich auch einmal etwas seichteren Projekten widmen will, veröffentlichte der Autor bereits einige Jugendreihen, am bekanntesten davon vielleicht die Reckoners. Auch für die jüngeren Leser der unteren Klassenstufen hat er ein paar Bücher in seinem Sortiment, und so kam Alcatraz ins Leben, ein Held der etwas anderen Sorte. 

Alcatraz Smedry hat ein recht unpraktisches Talent, wie es scheint: Ständig gehen Dinge in seinem Umfeld kaputt. Sicher ist das der Grund, warum ihn seine Eltern weggaben und auch keine Ziehfamilie ihn lange bei sich behalten will. An seinem dreizehnten Geburtstag geschehen plötzlich einige seltsame Dinge. Er bekommt einen Beutel voller Sand geschenkt, der angeblich von seinen Eltern stammt, und ein exzentrischer alter Herr platzt plötzlich bei ihm zu Hause hinein und verkündet, er sei Alcatraz‘ Großvater. Und so geht es mitten hinein in den Kampf gegen die Evil Librarians, welche die Weltherrschaft anstreben wollen, und in den Kampf um die Freiheit der Free Kingdoms.

Jedes der fünf Bücher ist mehr oder weniger in sich abgeschlossen, durch alle zieht sich aber der Leitfaden des Kampfes des Smedry-Clans gegen die Evil Librarians. Außerdem sind die Bücher so aufgebaut, als seien sie eine Autobiographie Alcatraz‘ und Brandon Sanderson nur der Deckname, um die Bücher auch in den von den Librarians dominierten Hushlands, also den uns bekannten Kontinenten, zu verkaufen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass »Brandon Sanderson« in Wahrheit eine Topfpflanze ist? Nein, ehrlich, das habe ich hier gelernt!

Alle Bücher sind von Hayley Lazo reich illustriert, von ihrem Stil kann man sich einen schönen Eindruck auf ihrer deviantArt-Seite art-zealot.deviantart.com machen. Für mich persönlich haben ihre Zeichnungen mein Leseerlebnis sehr geprägt. Sie sind sehr comichaft, passen aber auch zu dem mitunter etwas überzeichneten und extrovertierten Schreibstil, der einen nicht unerheblichen Witz der Reihe ausmacht.

Sehr schön fiel mir auch auf, dass Sanderson, pardon, Alcatraz in jedem Buch einen »funny little Greek« erwähnt, wie er Platon, Aesop und dergleichen mehr bezeichnet und einige ihrer Werke in Verbindung mit der Handlung bringt. So referiert Alcatraz zum Beispiel auf Platons Höhlengleichnis, als es darum geht, dass er so langsam begreift, dass das, was er in der Schule gelernt hat, alles Lügen der Librarians waren. Ähnlich der Personen in Platons Höhle will er zunächst nicht wahrhaben, dass sein Leben auf einer einzigen großen Lüge fußt und die Welt einige Kontinente mehr hat. In Hinblick auf die Altersgruppe (8-12 Jahre) ist das durchaus pädagogisch wertvoll und auch ältere Semester können das eine oder andere dadurch lernen.

Alcatraz unterbricht die Narration immer wieder, um vor allem in den ersten Bänden sein schreiberisches Vorgehen zu erläutern. Er leitet den ersten Band beispielsweise mit einer Szene ein, wo er auf einem Opferaltar liegt, kommt dann aber zum eigentlichen Anfang der Handlung und illustriert seinen Alltag bei seiner letzten Ziehfamilie, bevor Grandpa Smedry in sein Leben platzt. Danach kommt die Erklärung, warum Sanderson dies so schrieb. Auch das ist durchaus unterhaltsam und lehrreich und überhaupt recht ungewöhnlich in einem fiktionalen Werk.

Sanderson spielt damit regelrecht mit den Erwartungen des Lesers. Alcatraz beispielsweise sagt immer, er sei ein Lügner und Feigling, seine Taten wirken aber gleichzeitig, als wolle er gelegentlich doch das Gegenteil beweisen. Er ist ebenso ein so offensichtlicher unzuverlässiger Erzähler, wie ich ihn selten gesehen habe, denn Alcatraz lügt dem Leser teils offen ins Gesicht – und manchmal eben nicht, weshalb man sich nie ganz sicher sein kann, was nun Lüge ist und was nicht.

Nach jedem Buch gibt es am Ende ein after-book special, wie es genannt wird, die immer unterschiedlich ausfallen. Es soll ja diesen Volksschlag von Lesern geben, die immer zur letzten Seite vorblättern. Die werden damit regelrecht getrollt, aber auf eine humoristische Weise, dass alle etwas davon haben. Ich persönlich empfand diese specials immer als einen der lustigsten Teile der Bücher. Beim ersten Band sieht das beispielsweise so aus:

»And so, untold million screamed out in pain, and then were suddenly silenced. I hope you’re happy.









(This was included for anyone who skipped forward to read the last page of the book. For the rest of you – the ones who reached the last page in the proper, honorable, and Smedry-approved manner – those untold millions are cheering in praise of your honesty.
  They’ll probaply throw you a party.)«

Mir wurde gesagt, dass das eine Anspielung auf Star Wars war, was dem ganzen noch einen zusätzlichen Aspekt verleiht. Auch in den anderen after-books specials sowie in den Büchern selbst gibt es immer wieder Anspielungen auf andere literarische Werke, sodass auch ältere Leser sich immer wieder freuen dürfen – ich bezweifle, dass Kinder von 8 bis 12 Jahren schon viel mit Valinor anfangen können.

Besonders schön fand ich dieses Detail im 5. Band. Dort gibt es eine Szene, in der die Librarian Shasta achtlos ein Buch wegwirft, was für eine Librarian eine verblüffend verächtliche Geste gegenüber Büchern ist. Dann wird revidiert, dass es sich dabei nur um einen langweiligen und wertlosen Fantasywälzer handelt. Die Szene wurde mit einem seitenfüllenden Bild illustriert, und wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass auf ihrem Buch »Mistborn« steht. Sich selbst etwas auf’s Korn zu nehmen, hat noch nie jemandem geschadet.

Während Band 1 bis 4 zwar durchaus Gewalt thematisierten, aber nie allzu brutal werden, ist das Ende von Band 5, ohne es zu spoilern, überraschend blutig, auch wenn auch hier Gewalt nicht grafisch dargestellt wird. Dennoch: Bei einem Kinderbuch hätte ich das nicht erwartet. Das Ende ist überhaupt in einigen Aspekten bemerkenswert. Theoretisch hat Alcatraz den Leser durch alle Bücher hinweg darauf vorbereitet, aber da man weiß, dass er ein Lügner ist, lässt man sich von seinen fortwährenden Beteuerungen, kein Held zu sein, sehr leicht in die Irre führen. Ich wage zu behaupten, dass das ein Ende ist, dass man nicht alle Tage liest. Es war gewagt von Sanderson, sich so zu entscheiden, weil es vielleicht nicht das befriedigendste Ende einer Reihe ist, aber es funktioniert auf jeden Fall hervorragend.

Ich glaube, dass in den Büchern ein paar Verknüpfungen zu anderen Werken Sandersons versteckt sind, nicht nur solch offensichtliche wie Shastas Lektüre. Alcatraz bringt gelegentlich ausgesprochen schlechte Metaphern, was sehr an David Charleston aus der Reckoners-Reihe erinnert. Die Knights of Crystalia tragen Rüstungen und Waffen aus Crystin, einem Kristall, was Ähnlichkeiten zu den Shardblades des Stormligh Archive aufweist. Das können natürlich auch Zufälle sein, aber mir gefällt der Gedanke.

So schön das alles auch ist, es gibt auch einige Dinge, die nicht ganz überzeugen konnten. Jedes der Bücher kommt mit einem vergleichsweise kleinen Figurenensemble aus, was sich für junge Leser besonders eignet, aber auch für ältere hin und wieder ganz angenehm ist, wenn man sich nicht so viele Namen merken muss. Da einige der Charaktere aber nur auf bestimmte Bände beschränkt sind, bleiben sie mitunter zu blass. Quentin Smedry beispielsweise. Ich weiß über ihn nach fünf Büchern nicht mehr, als dass er wie alle Smedrys ein besonderes Talent hat und er Alcatraz‘ Cousin ist. Er taucht auch hauptsächlich nur im ersten Band als unwichtige Nebenfigur auf, danach wird er, wenn überhaupt, nur noch namentlich genannt.

So interessant Alcatraz‘ Unterbrechungen der Narration am Anfang auch waren, mit der Zeit wurde es doch eher lästig, zu jedem Kapitelbeginn wieder erst einmal für eine Handvoll Absätze aus der laufenden Handlung gerissen zu werden, um irgendwelche sonderbaren Gedankengänge des Erzählers zu lesen. Manchmal sind sie so abgedreht, dass ich mich frage, ob Kinder da noch mehr Sinn erkennen können als ich. Ich konnte es nicht. Das waren auch stets die Momente, in denen ich mich fragte: »Ist die Reihe nun genial oder einfach bekloppt?«

Ein wenig habe ich auch über die Bücher hinweg vermisst, dass Alcatraz in Frage stellt, ob er überhaupt für die »richtige« Seite kämpft. Er nimmt vorbehaltlos hin, dass er zusammen mit den anderen Smedrys gegen die Librarians vorgeht. Immerhin sind aber einige wichtige Nebencharaktere beider Seiten, Smedrys als auch Librarians, ambivalent und werden nicht durchgängig schwarz-weiß gezeichnet, was das wieder etwas relativierte.

Generell hatte ich während des gesamten ersten Bandes Probleme, mich in die Welt einzufühlen. Der Leser wird genau wie Alcatraz von Grandpa Smedry ohne Vorwarnung ins kalte Wasser geworfen und muss sich nun darin zu Recht finden. Grandpa Smedry spricht in einem der späteren Bände selbst an, dass er Alcatraz zu wenig auf das vorbereitet hat, was da auf ihn zukam, trotzdem macht es das für den Leser zu Anfang nicht einfacher. Kurioser Weise gab sich das ab dem zweiten Band schlagartig, im Laufe dessen wird jedoch auch mehr über die Welt erzählt.

Die Reihe hat einige kleine Mängel, die nicht mehr nur Schönheitsfehler sind. Trotzdem ist sie ausgesprochen unterhaltsam, wenn man sich auf den Humor einlässt. Da die Zielgruppe eine recht junge ist, sind die Bücher leicht und eingängig geschrieben, sodass man auch als Nicht-Muttersprachler keine Probleme mit den Büchern haben dürften.



Daten
Alcatraz vs. the Evil Librarians, Alcatraz 1: ISBN 978-0-7653-7894-1, Starscape, 2016, 16,99$
The Scrivener‘s Bones, Alcatraz 2: ISBN 978-0-7653-7896-5, Starscape, 2016, 16,99$
The Knights of Crystalia, Alcatraz 3: ISBN 978-0-7653-7898-9, Starscape, 2016, 16,99$
The Shattered Lens, Alcatraz 4: ISBN 978-0-7653-7900-9, Starscape, 2016, 16,99$
The Dark Talent, Alcatraz 5: ISBN 978-0-7653-8140-8, Starscape, 2016, 16,99$

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