Brandon
Sanderson ist vor allem für seine epischen Werke wie The Last Empire oder
Stormlight bekannt – episch nicht nur im Inhalt sondern auch im Umfang. Da man
sich als Autor zwischenzeitlich auch einmal etwas seichteren Projekten widmen
will, veröffentlichte der Autor bereits einige Jugendreihen, am bekanntesten
davon vielleicht die Reckoners. Auch für die jüngeren Leser der unteren
Klassenstufen hat er ein paar Bücher in seinem Sortiment, und so kam Alcatraz
ins Leben, ein Held der etwas anderen Sorte.
Alcatraz
Smedry hat ein recht unpraktisches Talent, wie es scheint: Ständig gehen Dinge
in seinem Umfeld kaputt. Sicher ist das der Grund, warum ihn seine Eltern
weggaben und auch keine Ziehfamilie ihn lange bei sich behalten will. An seinem
dreizehnten Geburtstag geschehen plötzlich einige seltsame Dinge. Er bekommt
einen Beutel voller Sand geschenkt, der angeblich von seinen Eltern stammt, und
ein exzentrischer alter Herr platzt plötzlich bei ihm zu Hause hinein und
verkündet, er sei Alcatraz‘ Großvater. Und so geht es mitten hinein in den
Kampf gegen die Evil Librarians, welche die Weltherrschaft anstreben wollen,
und in den Kampf um die Freiheit der Free Kingdoms.
Jedes
der fünf Bücher ist mehr oder weniger in sich abgeschlossen, durch alle zieht
sich aber der Leitfaden des Kampfes des Smedry-Clans gegen die Evil Librarians.
Außerdem sind die Bücher so aufgebaut, als seien sie eine Autobiographie
Alcatraz‘ und Brandon Sanderson nur der Deckname, um die Bücher auch in den von
den Librarians dominierten Hushlands, also den uns bekannten Kontinenten, zu
verkaufen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass »Brandon Sanderson« in Wahrheit eine
Topfpflanze ist? Nein, ehrlich, das habe ich hier gelernt!
Alle
Bücher sind von Hayley Lazo reich illustriert, von ihrem Stil kann man sich
einen schönen Eindruck auf ihrer deviantArt-Seite art-zealot.deviantart.com machen. Für
mich persönlich haben ihre Zeichnungen mein Leseerlebnis sehr geprägt. Sie sind
sehr comichaft, passen aber auch zu dem mitunter etwas überzeichneten und
extrovertierten Schreibstil, der einen nicht unerheblichen Witz der Reihe
ausmacht.
Sehr
schön fiel mir auch auf, dass Sanderson, pardon, Alcatraz in jedem Buch einen
»funny little Greek« erwähnt, wie er Platon, Aesop und dergleichen mehr
bezeichnet und einige ihrer Werke in Verbindung mit der Handlung bringt. So
referiert Alcatraz zum Beispiel auf Platons Höhlengleichnis, als es darum geht,
dass er so langsam begreift, dass das, was er in der Schule gelernt hat, alles
Lügen der Librarians waren. Ähnlich der Personen in Platons Höhle will er zunächst
nicht wahrhaben, dass sein Leben auf einer einzigen großen Lüge fußt und die
Welt einige Kontinente mehr hat. In Hinblick auf die Altersgruppe (8-12 Jahre)
ist das durchaus pädagogisch wertvoll und auch ältere Semester können das eine
oder andere dadurch lernen.
Alcatraz
unterbricht die Narration immer wieder, um vor allem in den ersten Bänden sein
schreiberisches Vorgehen zu erläutern. Er leitet den ersten Band beispielsweise
mit einer Szene ein, wo er auf einem Opferaltar liegt, kommt dann aber zum eigentlichen
Anfang der Handlung und illustriert seinen Alltag bei seiner letzten
Ziehfamilie, bevor Grandpa Smedry in sein Leben platzt. Danach kommt die
Erklärung, warum Sanderson dies so schrieb. Auch das ist durchaus unterhaltsam
und lehrreich und überhaupt recht ungewöhnlich in einem fiktionalen Werk.
Sanderson
spielt damit regelrecht mit den Erwartungen des Lesers. Alcatraz beispielsweise
sagt immer, er sei ein Lügner und Feigling, seine Taten wirken aber
gleichzeitig, als wolle er gelegentlich doch das Gegenteil beweisen. Er ist
ebenso ein so offensichtlicher unzuverlässiger Erzähler, wie ich ihn selten
gesehen habe, denn Alcatraz lügt dem Leser teils offen ins Gesicht – und
manchmal eben nicht, weshalb man sich nie ganz sicher sein kann, was nun Lüge ist
und was nicht.
Nach
jedem Buch gibt es am Ende ein after-book special, wie es genannt wird, die
immer unterschiedlich ausfallen. Es soll ja diesen Volksschlag von Lesern
geben, die immer zur letzten Seite vorblättern. Die werden damit regelrecht
getrollt, aber auf eine humoristische Weise, dass alle etwas davon haben. Ich
persönlich empfand diese specials immer als einen der lustigsten Teile der
Bücher. Beim ersten Band sieht das beispielsweise so aus:
»And
so, untold million screamed out in pain, and then were suddenly silenced. I
hope you’re happy.
(This
was included for anyone who skipped forward to read the last page of the book. For
the rest of you – the ones who reached the last page in the proper, honorable,
and Smedry-approved manner – those untold millions are cheering in praise of
your honesty.
They’ll probaply throw you a party.)«
Mir
wurde gesagt, dass das eine Anspielung auf Star Wars war, was dem ganzen noch
einen zusätzlichen Aspekt verleiht. Auch in den anderen after-books specials
sowie in den Büchern selbst gibt es immer wieder Anspielungen auf andere
literarische Werke, sodass auch ältere Leser sich immer wieder freuen dürfen –
ich bezweifle, dass Kinder von 8 bis 12 Jahren schon viel mit Valinor anfangen
können.
Besonders
schön fand ich dieses Detail im 5. Band. Dort gibt es eine Szene, in der die
Librarian Shasta achtlos ein Buch wegwirft, was für eine Librarian eine
verblüffend verächtliche Geste gegenüber Büchern ist. Dann wird revidiert, dass
es sich dabei nur um einen langweiligen und wertlosen Fantasywälzer handelt.
Die Szene wurde mit einem seitenfüllenden Bild illustriert, und wenn man genau
hinsieht, erkennt man, dass auf ihrem Buch »Mistborn« steht. Sich selbst etwas
auf’s Korn zu nehmen, hat noch nie jemandem geschadet.
Während
Band 1 bis 4 zwar durchaus Gewalt thematisierten, aber nie allzu brutal werden,
ist das Ende von Band 5, ohne es zu spoilern, überraschend blutig, auch wenn
auch hier Gewalt nicht grafisch dargestellt wird. Dennoch: Bei einem Kinderbuch
hätte ich das nicht erwartet. Das Ende ist überhaupt in einigen Aspekten
bemerkenswert. Theoretisch hat Alcatraz den Leser durch alle Bücher hinweg
darauf vorbereitet, aber da man weiß, dass er ein Lügner ist, lässt man sich
von seinen fortwährenden Beteuerungen, kein Held zu sein, sehr leicht in die
Irre führen. Ich wage zu behaupten, dass das ein Ende ist, dass man nicht alle
Tage liest. Es war gewagt von Sanderson, sich so zu entscheiden, weil es
vielleicht nicht das befriedigendste Ende einer Reihe ist, aber es funktioniert
auf jeden Fall hervorragend.
Ich
glaube, dass in den Büchern ein paar Verknüpfungen zu anderen Werken Sandersons
versteckt sind, nicht nur solch offensichtliche wie Shastas Lektüre. Alcatraz
bringt gelegentlich ausgesprochen schlechte Metaphern, was sehr an David
Charleston aus der Reckoners-Reihe erinnert. Die Knights of Crystalia tragen
Rüstungen und Waffen aus Crystin, einem Kristall, was Ähnlichkeiten zu den
Shardblades des Stormligh Archive aufweist. Das können natürlich auch Zufälle
sein, aber mir gefällt der Gedanke.
So
schön das alles auch ist, es gibt auch einige Dinge, die nicht ganz überzeugen
konnten. Jedes der Bücher kommt mit einem vergleichsweise kleinen
Figurenensemble aus, was sich für junge Leser besonders eignet, aber auch für
ältere hin und wieder ganz angenehm ist, wenn man sich nicht so viele Namen
merken muss. Da einige der Charaktere aber nur auf bestimmte Bände beschränkt
sind, bleiben sie mitunter zu blass. Quentin Smedry beispielsweise. Ich weiß
über ihn nach fünf Büchern nicht mehr, als dass er wie alle Smedrys ein
besonderes Talent hat und er Alcatraz‘ Cousin ist. Er taucht auch hauptsächlich
nur im ersten Band als unwichtige Nebenfigur auf, danach wird er, wenn
überhaupt, nur noch namentlich genannt.
So
interessant Alcatraz‘ Unterbrechungen der Narration am Anfang auch waren, mit
der Zeit wurde es doch eher lästig, zu jedem Kapitelbeginn wieder erst einmal
für eine Handvoll Absätze aus der laufenden Handlung gerissen zu werden, um
irgendwelche sonderbaren Gedankengänge des Erzählers zu lesen. Manchmal sind
sie so abgedreht, dass ich mich frage, ob Kinder da noch mehr Sinn erkennen
können als ich. Ich konnte es nicht. Das waren auch stets die Momente, in denen
ich mich fragte: »Ist die Reihe nun genial oder einfach bekloppt?«
Ein
wenig habe ich auch über die Bücher hinweg vermisst, dass Alcatraz in Frage
stellt, ob er überhaupt für die »richtige« Seite kämpft. Er nimmt vorbehaltlos
hin, dass er zusammen mit den anderen Smedrys gegen die Librarians vorgeht. Immerhin
sind aber einige wichtige Nebencharaktere beider Seiten, Smedrys als auch
Librarians, ambivalent und werden nicht durchgängig schwarz-weiß gezeichnet,
was das wieder etwas relativierte.
Generell
hatte ich während des gesamten ersten Bandes Probleme, mich in die Welt
einzufühlen. Der Leser wird genau wie Alcatraz von Grandpa Smedry ohne
Vorwarnung ins kalte Wasser geworfen und muss sich nun darin zu Recht finden.
Grandpa Smedry spricht in einem der späteren Bände selbst an, dass er Alcatraz
zu wenig auf das vorbereitet hat, was da auf ihn zukam, trotzdem macht es das
für den Leser zu Anfang nicht einfacher. Kurioser Weise gab sich das ab dem
zweiten Band schlagartig, im Laufe dessen wird jedoch auch mehr über die Welt
erzählt.
Die
Reihe hat einige kleine Mängel, die nicht mehr nur Schönheitsfehler sind.
Trotzdem ist sie ausgesprochen unterhaltsam, wenn man sich auf den Humor
einlässt. Da die Zielgruppe eine recht junge ist, sind die Bücher leicht und
eingängig geschrieben, sodass man auch als Nicht-Muttersprachler keine Probleme
mit den Büchern haben dürften.
Daten
Alcatraz vs. the
Evil Librarians, Alcatraz 1: ISBN 978-0-7653-7894-1, Starscape, 2016, 16,99$
The Scrivener‘s
Bones, Alcatraz 2:
ISBN 978-0-7653-7896-5, Starscape, 2016, 16,99$
The Knights of
Crystalia, Alcatraz 3:
ISBN 978-0-7653-7898-9, Starscape, 2016, 16,99$
The Shattered
Lens, Alcatraz 4:
ISBN 978-0-7653-7900-9, Starscape, 2016, 16,99$
The Dark Talent,
Alcatraz 5:
ISBN 978-0-7653-8140-8, Starscape, 2016, 16,99$
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